Mein lieber Rortimer,
verzeiht mir, daß ich
Euch jetzt erst schreibe! Ihr müßt Schlimmes von mir denken, doch
ich konnte nicht anders. Zu aufgewühlt war ich von den Erlebnissen,
um meine im Vergleich zu Euch überaus begrenzte Geistesleistung dem
Verfassen eines Briefes zu widmen. Ich hoffe sehr, daß Ihr mir
verzeihen könnt, wenn ich Euch in gebotener Kürze, aber mit den
erforderlichen ausschmückenden Worten beschreibe, was mir hier
widerfahren ist.
Oh, Rortimer, ihr werdet es mir nicht glauben, aber sie sind aus purem Marmor! Der Earl erklärte uns, daß die Algenschicht 2 Meter an Stärke aufweise, um das Gewicht der massiven Marmorplatten zu bewältigen, deren Dicke lediglich den zehnten Teil eines Millimeters betrage. Deshalb könne ein jeder auch bequem durch sie hindurchsehen.
Am
allerbemerkenswertesten aber, lieber Rortimer, war das
Pflaster im Hof des Palastes. Ihr müßt es mir glauben, verehrter
Rortimer, es besteht aus einem Verbund von Zement und
Kieselsteinen. Der Earl nennt diese einzigartige Symbiose liebevoll
„Beton“. Ach, Rortimer, wenn ich jemals wieder nach Hause
komme, dann werde ich unser Heim auch mit Beton pflastern, darauf
könnt Ihr Euch schon freuen!
Als ob das eigenartige
Material des Schlosses nicht schon genug wäre, um die Nacht
schlaflos zu verbringen, ereigneten sich noch weitere
Merkwürdigkeiten. Stellt Euch vor, welche Speise uns aufgetischt
wurde: Der Earl ließ ungekochten Fisch mit einem dickkörnigen,
weichen und wohlriechenden Getreide in grüne Blätter wickeln, die
er von seinem Baumaterial nahm. Dazu reichte er eine fast schwarze,
herb-sauer schmeckende Sauce, sowie feine Scheiben von Ingwer. Ihr
werdet es nicht glauben, werter Rortimer, aber es mundete
vorzüglich!
Wie Ihr Euch zweifelsohne
vorstellen könnt, war ich nach dem Mahl innerlich sehr aufgewühlt.
Es war mir, als sei alles, was ich bereits auf der Welt gesehen
hatte, an diesem Tage Lügen gestraft worden! Pferde liefen
rückwärts! Ja, tatsächlich, in diesem Moment liefen auf der
fürstlichen Weide zwei Pferde rückwärts.
Ich taumelte auf mein
Zimmer. Es war ganz nach meinem Geschmack. An der Wand hingen
Portraits des Schloßherrn und seiner Familie, die in ihrer
Darstellung eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Realität
aufwiesen. Fast schien es, als habe man die Menschen dupliziert,
verkleinert und auf ein Blatt Papier gepreßt, nur ohne die daraus
resultierenden schweren Verwundungen. Der Earl hatte die Gemälde als
„Photographien“ bezeichnet, als Lichtmalereien. Er erfindet gerne
Wörter für die eigenwilligen Begebenheiten hier auf Schloß
Shiceshire.
Mein lieber Rortimer, ihr
werdet mir zustimmen, daß dies alles längst ausreicht, um so recht
am eigenen Verstande zu zweifeln. Doch damit nicht genug, zu diesem
Affront gegen meine Geistestätigkeit
gesellte sich einer gegen meine Ehre. Doch lest selbst!
Die eigenartige Speise
hatte mir, kaum lag ich im Bett, selten gekannte Schmerzen bereitet.
Meine Innereien quälten mich, sie setzten mir ein Ultimatum, mein
Körper forderte sein Recht, wenn Ihr mich versteht. Jedoch, auch
wenn ihr versteht, erlaubt mir noch ein paar wortreiche
Untermalungen: Es war mir, als sei mein Gedärm ein Dudelsack, durch
das Speise geblasen wurde. Mein Leib fühlte sich wie ein Weizenbrot,
drei Tage in Wasser gelegen, wie ein Höhle voller schwerem Lehm.
Ich verließ mein Gemach,
denn es gab dort keine Verrichtungsmöglichkeiten. Einsam lief ich
die langen, holzvertäfelten Gänge entlang, auf der Suche nach einer
Stätte der Schande. Allein ich konnte nichts erblicken. Nach einer
Zeit, die mir in meiner Pein ewig schien, hatte ich alle Flure
besichtigt, alle Kammern erkundet. Ich hatte keinen Ort für meine
Not erblickt! Mir wurde von Minute zu Minute banger, ich fühlte
einen fiebrigen Zustand mich ereilen. In meiner Not faßte ich den
Entschluß, in der Natur einen rettenden Hafen zu finden. Doch just
in diesem Moment erschütterte der Ruf eines Wolfes die nächtliche
Stille. Oh, Rortimer, ihr wißt, wie sehr ich die Tierwelt
fürchte! Schon Katzen bereiten mir starkes Unbehagen, Hunde sind mir
eine große Last, aber Wölfe ängstigen mich zu Tode. Ich konnte
also nicht hinaus. Lieber Rortimer, bitte verzeiht mir, was ich tat,
ich wußte keinen anderen Ausweg! Es war mir, als sei ich
fremdbestimmt, als ich mir einen dunklen Ort im Schloß suchte, ihn
in einer stockdunklen Halle fand und dort der Natur ihr Recht
einräumte. Ich schämte mich dabei sehr, doch ich bin nur ein
Mensch, kein Zauberwesen. Bestürzt schlich ich mich hinaus. Ich
irrte noch dreiviertel Stunden umher, bis ich endlich meine Kammer
fand. Ihr könnt euch vorstellen, mein lieber Rortimer, daß ich
unverzüglich in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Am nächsten Morgen war
ein großes Hallo, als ich endlich aufwachte. Die Zofe hatte mehrmals
versucht, mich zu wecken, doch ich hätte geschlafen „wie ein
Toter“, wie sie mich wissen ließ. Durch sie wurde ich auch gleich
auf den neuesten Stand gebracht: „Stellt euch vor, es wurde
eingebrochen! Die Diebe haben nichts gestohlen, aber sie haben dem
Speisezimmer übel mitgespielt.“ Als ich verwundert nachfragte, wie
sich deren Wirken niederschlage, entgegnete sie, sie sei zu
wohlerzogen, um mir genaue Kunde zu geben. Mir schwante Schlimmes.
Ich verließ mein Schlafstatt gen Speisezimmer. Ein grauenhafter
Geruch schlug mir entgegen. Diener liefen an mir vorbei, sie trugen
spezielle Kleidung zum Schutz vor Pestilenz und hatten Masken auf,
die das Atmen erleichtern sollten. Eine Dame kam mir entgegen, die
hier auch Gast war, ich erkannte sie vom gestrigen Mahl. Sie zog ein
Kind hinter sich her, daß erbärmlich weinte. Als ich im Speisesaal
ankam, bot sich mir ein grauenhaftes Bild. Ich erspare dir
Einzelheiten, jedoch erkannte ich in ihm die stockdunkle Kammer der
Nacht wieder. Wie hatte ich den Speisesaal nicht erkennen können?
Ihr seht, ich war wie von Sinnen. Nach mir mußten weitere Menschen
im Saal gewesen sein. Es stellte sich später heraus, daß es Lady
Dickinsworth war, die sich Speise habe holen wollen. Sie habe in
Ermangelung einer anderen Lichtquelle den Kamin entzünden wollen,
entzündete jedoch die Fußbodenheizung. Dann tat sie einen Schritt
zu der Stelle, an der ich vor ihr gewesen war. Erschrocken lief sie
einmal quer durch das gesamte Zimmer und floh dann, ohne weitere
Vorkehrungen zu treffen. Die Fußbodenheizung erwärmte den Raum und
alles, was darinnen war, auf erkleckliche Temperaturen. Da das Schloß
keine Fenster hatte, konnte der Geruch nicht entweichen, so daß das
Schloß für ein Vierteljahr nicht nutzbar war. Lieber Rortimer,
jetzt weißt du, was hier geschehen ist. Ich schreibe dir aus der
Kutsche, die mich zum Flughafen bringt. Wenn du diese E-Mail liest,
bevor ich ankomme, kannst du mich ja abholen. Bis dann! Tschüß!
Kommentare
Ich glaube, daß es ab jetzt aufwärts geht mein KREM
Noch ne Frage: Wo liegt denn Shiceshire? Das Schloss sieht wirklich geil aus!
Sag mal, lebst Du hinterm Mond? Wenn man dieses Blog liest, hat man die Vermutung, es sei Bedingung, kacke zu heißen, um hier kommentieren zu dürfen. Sieh u.a. mich an!
nicht erst nehmen, ist nur so ein spruch XD :-) °-)
Sei er hiermit verwarnt, das halte ich für ausreichend.
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