
Alltagsgedicht (v 2004)
Die gelblichen Fliesen verheißen heuchelnd
Einen freudebringenden Tag.
Doch der Spiegel verweigert vehement
Jede Anteilnahme an dieser Gemütslage.
Harte Worte, so denkt man. Sehen wir mal genauer hin. Zunächst wird Ihnen aufgefallen sein, dass sich dieses Gedicht nicht reimt. Muss es nämlich entgegen landläufigen Meinungen nicht! Was fällt uns noch auf (also eigentlich ja nur mir, oder zumindest weiß ich nicht, was Ihnen so auffällt). Das Gedicht hat vier Zeilen. Vier ist in der Poesie, ja in der Kultur und Geistesgeschichte überhaupt, eine der wichtigsten Zahlen überhaupt (direkt nach der 3). Sie steht für Vollkommenheit, Makellosigkeit, Harmonie. Merken Sie‘s? In welch krassem Widerspruch steht das eben Gesagte zum Inhalt des Gedichts! Natürlich kann das auch Zufall sein, denn eigentlich haben die allermeisten Gedichte, Lieder, Sonette, Balladen und Apokryphen (Fn 1) vier Zeilen. Ja, was denn nun, fragen Sie sich – Stilmittel oder Zufall? Den Dichter können wir (oder ich) nicht mehr fragen, denn es ist schon nach 21 Uhr, und ich traue mich nicht, ihn jetzt noch anzurufen.
Was gibt es noch zu entdecken? Vielleicht fällt Ihnen auf, daß das „E“ sehr oft vorkommt, dadurch steigert sich noch die ohnehin große Tristesse des Dichtstücks. Aber E ist, ob Sie es glauben oder nicht, der häufigste Buchstabe! Auch des (bzw. das) kann also Zufall sein.
Zentrales Wort im Gedicht ist ganz klar der Spiegel. Ist, wie man nach erstem Lesen meinen könnte, wirklich ein normaler Spiegel gemeint, der ja nichts anderes tut, als einem das eigene Gesicht zu zeigen? Oder geht es vielleicht um das bekannte deutsche Nachrichtenmagazin? Nein, das ist abwegig, nichts deutet darauf hin.
Auf einen „Juckpunkt“, wie ich finde, möchte ich Sie noch hinweisen: Gelbliche Fliesen verheißen einen freudebringenden Tag? Gelbe Fliesen könnten das wohl, aber gelbliche? Also nicht mehr wirklich gelbe, sondern früher mal gelb gewesen seiende (oder schlimmer: mit der Zeit eine gelbliche Färbung angenommen habende) Fliesen? Wenn der Dichter das schon als „freudebringend“ empfindet und das dann noch in Gegensatz setzt zu seinem Gesicht, wird klar, es geht hier um nichts anderes als tiefe Depression (oder ein wirklich schlimmes Gesicht).
Hekto Pascale Rüediger gehört dem „Kollektiv Rübliparade“ an, einer Gruppe junger Dichter, die die Schweizer Mainstreamgesellschaft mit ironisch-unironischen Kurzgedichten wachrütteln will (so das Manifest auf www.ruebliparade.ch). Rüediger selbst sieht sich als „Jetztzeit-Entschleuniger“ – begründet hat er das nie. Der Mittvierziger aus Luzern hat die Gruppe vor mittlerweile zwölf Jahren gegründet. Ich behaupte, ohne sie wäre die Schweizer Dichtkunst tot. Vielleicht wäre sie aber auch nur vielfältiger als heute, denn momentan gehören über 98 % aller Dichter dem „Kollektiv“ an, das sich sehr strenge (formale und inhaltliche) Regeln für das Dichten gegeben hat. Was offiziell der „Befreiung von den Exkrementen der alten Poesie“ (ebenda) dient, wirkt intern wie innere Zensur, nur zu welchem Zweck? Das versteht niemand. Daneben gibt es noch die äußerst konservative Dichtergarde (Widmer, Schachermatt und Kugli, um nur drei zu nennen), die nichts tut, um die intellektuelle und künstlerische Lücke im Lande zu schließen („Ich wohn‘ beim schönen Gipfel droben/Komm doch heut‘ nacht zu mir nach oben“). Schließlich gibt es noch die unvermeidlichen Avantgarde-Künstler („Matter Horn / Matt Er Horn // Ma Tte Rho Rn“ usw. …), und das war‘s dann. Dennoch: Das „Kollektiv“ setzt Maßstäbe, legt Finger in Wunden und stellt alte Gewißheiten infrage. Wenn die Poesie sich nicht an klaren, für jeden begreifbaren Dingen („gelbliche Fliesen“) abarbeitet, welchen Nutzen hat sie dann?
Rüediger wurde jedenfalls nach Erscheinen des Gedichtes wegen „Depression“ und „Defätismus“ angeklagt, aber noch während seiner Untersuchungshaft wurden diese Straftatbestände per Volksentscheid abgeschafft – dafür wurde „übertriebener Frohsinn“ unter Strafe gestellt, „doch hier sind Sie gänzlich unverdächtig“, erläuterte der Vorsitzende Richter mit einem – nicht übertrieben – verschmitzten Lächeln bei der Haftentlassung.
Zurzeit arbeitet Rüediger an einem Sammelband seiner Fliesengedichte.
Fazit:
Lesen Sie Gedichte! Man kann so viel darin entdecken. Meine Analyse war nur ein kleiner Ausflug, quasi ein kurzer Galopp ins Blau. Sie werden noch viel mehr entdecken, wenn Sie das Gedicht gezielt befragen. Es wird Ihnen nicht antworten, aber wenn man die richtigen Fragen stellt, kommen die Antworten von allein (ist aber sehr schwer! Lesen Sie einfach Gedichte!)
Herzlichst, Ihr Dr. Fabian Mieroth
1Apokryphen gehören nicht in diese Reihe. Ich wollte nur demonstrieren, wie unbefriedigend eine Aufzählung von FÜNF Wörtern ist.
Kommentare
@Rüdi: Schuster, bleib bei deinen Leisten, sag ich da nur *grins*
Die Redaktion
Beste Grüße,
Die Redaktion
Vergessliche Grüße :-P
Die Redaktion
Ich wollte euch aber auch noch warnen: Beendet sofort eure Zusammenarbeit mit Magdalena Stürf, die hat eine dunkle Vergangenheit, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Ich sage mal so, Tarnname "Mrs. Darkforce", klingelt da was? Operation "Braunes Meer", muss ich mehr sagen?
Ansonsten wünsche ich ein schönes WE!
Grüße
Magda
Außerdem bist du zurzeit unsere beste Autorin. Du und Fabian Mieroth, ihr habt dem KREM zuletzt viel neues Leben in die tote Journalistenhülle eingehaucht. Natürlich hast du recht mit deiner Meinung zu den ganzen bescheuerten Kommentatoren hier, wir werden versuchen, das noch weiter einzuschränken. Außerdem gibt es ja jetzt zusätzlich noch das NetzDG, wobei ich das Gefühl habe, dass die Kommentare unter unseren Beiträgen i.d.R. so speziell sind, dass sie durch jedes Raster fallen.
Ich denke aber auch, liebe Magda, dass wir über eine satte Gehaltserhöhung sprechen können. Für wen und in welchem Rahmen, das wird sich zeigen. Am Ende haben wir alle was davon.
Und Konrad, du bist entlassen. Schau mal in deinen Arbeitsvertrag unter Punkt 4. c). Für dich gilt die spezielle "Sofortkündigungsklausel". Bitte räume deinen Arbeitsplatz (Ast) auf, bevor du gehst. Übrigens: Wir kriegen mit, wenn du Stöcke oder Erde aus dem Wald mit nimmst, also versuch's gar nicht erst.
Beste Grüße
Rüdiger Fahrenschon, CEO-Vize
Liebe Grüße und fühlen Sie sich alle schon entlassen,
Edelgarth Kleindrucktes
Christoph, sag doch auch mal was dazu? Oder schreibst du wieder an deinen Kommentierungen zum Duden? Hast du eigentlich schon deinen Essay über die Einführung des großen ß fertig? Also Christoph, bitte, sag sprich mal ein Machtwort!
Frau Kleindrucktes war hier und wir haben über Geld geredet. Sie mag gern Kanadische Dollar und diese Münzen aus Asien mit einem Loch in der Mitte, ich mag eigentlich jegliches Geld (habe keine Präferenzen). Es ging zu keinem Zeitpunkt um den Verkauf des KREM. Wir haben einfach nur über Geld geredet.
Woher du, Justus, das weißt, ist mir allerdings schleierhaft. Auch, daß du hiermit sehr wohl irritierst, und zwar jeden (auch mich), hätte dir eigentlich klar sein können!
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