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Victoria Kleimnich als Eleonora von Padua, Herbst 2017 |
Auch Preise gab es für ihre Interpretation der norditalienischen Fürstentochter, etwa den holsteinischen Bühnenotto in Gold. In der Begründung ihrer Auszeichnung hieß es, dass „Kleimnichs Charisma außerirdische Ausmaße“ habe und „ihr schauspielerisches Können von einer so unermesslichen Andersartigkeit“ sei, dass „die Emotionen der Theaterbesucher zerbersten“ würden. „Zum Schluss, wenn Eleonora gevierteilt und den Ratten zum Fraß vorgeworfen wird, wollen die Theaterbesucher tatsächlich mitsterben – zwei Menschen aus dem Publikum haben sich bei der Uraufführung von der Empore gestürzt – es ist unglaublich, aber Victoria Kleimnich schafft es, Zuseher ihrer Darbietung innerhalb einer Stunde psychisch von sich abhängig zu machen. Naja, und was soll man groß drum rumreden, rattenscharf ist sie auch“, so das Stiftungskomitee des Bühnenottos.
Bereits Jahre vor ihrem Durchbruch wusste Kleimnich, dass Schauspiel ihre Profession ist. In der Schule, so erinnert sich das Ausnahmetalent, sei sie „von einer Theater-AG zur nächsten gerannt“. Montag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag, an diesen Tagen habe sie nach dem Unterricht immer am Schultheater mitgespielt. „Das ist der Grundstein für alles, was ich heute mache“, sagt Kleimnich. Direkt nach dem Abitur, mit 18 Jahren, ist sie nach Australien gegangen, um sich an der renommierten Schauspielschule „V.C.o.l.l.a.g.e.“ ausbilden zu lassen. Letztes Jahr hat sie mit Bestnote ihren Abschluss absolviert und ist anschließend nach Deutschland zurückgekehrt. Nach einigen experimentelleren Stücken hatte sie mit der Eleonore ihren Durchbruch. Am liebsten spiele sie „starke Frauen, die wissen, was sie wollen“. Rosa Luxemburg sei so eine. Die habe genau gewusst, was sie wollte, nämlich Anerkennung – Kleimnich redet gerne über Frauen und Weiblichkeit – „Luxemburg ging es eigentlich darum, sich in der Männerwelt durchzusetzen, sie wollte ernst genommen werden im maskulinozentrischen Europa des 20. Jahrhunderts. Politik ist da das probate Mittel zum Zweck für sie gewesen. Ich bin ein bisschen wie Rosa, ich weiß auch, was ich will“, lacht Kleimnich.
Sie spricht aber auch immer wieder von der „Message“, die ein Film oder Theaterstück haben müsse. Bloße Unterhaltung ist ihrer Meinung nach Zeitverschwendung. Aktuell liegen ihr zahlreiche Rollenangebote vor, von denen sie aber noch keins angenommen hat. Deshalb hat sie Zeit für ein Interview mit uns.
Wir treffen Kleimnich im angesagten Szenelokal „Lindenblatt“ im Lübecker Gängeviertel. Sie bestellt einen doppelten „Espresso Macchiato“, nur hier würde er wie in Italien schmecken, so die gebürtige Cottbuserin. Auffällig ist ihr wohl als „künstlerisch“ zu bezeichnender Look. Plateauschuhe, rotes Kleid, schwarzer Schlapphut. Albern, finden wir, aber irgendwie auch schick. Während sie den Kaffee schlürft, schaut uns Kleimnich erwartungsvoll an, sie würde das offizielle Interview dann jetzt gerne auch mal beginnen. Das Vorgespräch sei ja nun lang genug gewesen. Wir vom KREM würden aber plötzlich nur noch so dasitzen, in der Gegend rumstarren und irgendwie desinteressiert wirken, meint die forsche Twen. Stimmt, wir langweilen uns, wir schlafen fast ein, das Lokal nervt, und auf ein Interview haben wir mal so gar keine Lust. Trotzdem raffen wir uns auf und starten das Gespräch.
KREMagazin: Frauuu Kleimniiich? (schreit)
Kleimnich: Ja?
KREMagazin: Äääääääöööhhhhh...
Kleimnich: Geht’s Ihnen nicht gut? Brauchen Sie einen Arzt?
KREMagazin: ...äääääääääääääääääärrrrrrrrggghhhhhh...
Kleimnich: Eine Bedienung, schnell! Kommen Sie schnell her, ich glaube...
KREMagazin: Lassen Sie das, alles bestens!
Kleimnich: ...okay?
KREMagazin: Üüüüüühhhhhhh...
Kleimnich: ???
KREMagazin: ...üüüüüühöööööööäääääääääaaaaaaalles okay! Alles ist in Ordnung. Alles Okay. Ich denke, wir können jetzt beginnen.
Kleimnich: Sie haben echt 'nen Megadachschaden, kann das sein?
KREMagazin: Dachschaden? Das ist ja unverschämt!
Kleimnich: Naja, also was sie hier so von sich geben ... und wie sie hier so halb auf dem Tisch, halb auf dem Boden liegen. Und dann noch die Serviette auf dem Kopf, das ist schon nicht normal. Der Leser kann das ja nicht sehen, aber Sie (Anm. d. Red.: Das Interview führt Justus Matereit) verhalten sich, als wären Sie erst vier.
KREMagazin: ...
Kleimnich: Jetzt setzen Sie sich bitte ordentlich hin, sonst gehe ich.
KREMagazin: Ach du Liebe Zeit. Also so etwas Spießiges habe ich im Leben noch nicht erlebt (Anm. d. Red.: Matereit richtet sich auf und setzt sich auf seinen Stuhl). In 20 Jahren werden Sie sicher eins von diesen „Hausfrauchen“ sein, was? Spaßresistent hoch 10 und dann beim Kaffeekränzchen über die Nachbarn lästern. Herr Schröder hat Krebs? Geschieht ihm recht, dem alten Sack. Hahaha, Krebs. Sowas sagen sie dann. Ich könnte kotzen. Wirklich! Kotzen könnte ich! Üüüüürgh...
Kleimnich: ...
Kleimnich: Okay, hören Sie 1. sofort damit auf, in Düsenjägerlautstärke Würgegeräusche zu machen! Und 2. was wollen Sie eigentlich von mir? Ein Interview, oder was?
KREMagazin: Natürlich ein Interview ... gut, wenn Madame Kleimnich nur spießig kann, dann können wir das auch. Wir sind flexibel, Madame Kleimnich wohl eher nicht. (lacht sehr laut)
Kleimnich: Ist das hier eine Wette oder so, oder warum verhalten Sie sich wie ein Vollidiot?
KREMagazin: Wette? Was heißt hier Wette? Das ist mein Interviewstil. Ich versuche auf diese Weise das Eis zu brechen ... Tuuuuuuuut...tuuuuuuuut (Anm. d. Red.: Matereit bewegt seine rechte Hand, als würde er eine LKW-Hupe betätigen).
Tuuuuuuuuut...tuuuuuuuuut
Kleimnich: Glückwunsch, das haben Sie ja bisher bestens geschafft. Könnten wir jetzt dann ernsthaft loslegen? Und vielleicht auch ohne Hupgeräusch?
KREMagazin: Von mir aus.
Kleimnich: Schön. Dann fragen Sie mich mal was.
KREMagazin: Okay. Äh...
Kleimnich: ...
KREMagazin: ...äähh...
Kleimnich: Haben Sie nichts vorbereitet?
KREMagazin: Doch, doch!
Kleimnich: Na dann...
KREMagazin: Also ... sie schauspielern gerne?
Kleimnich: Ja.
KREMagazin: Sehr gerne?
Kleimnich: Ja.
KREMagazin: Ah ja. Gut, gut.
Kleimnich: ...
KREMagazin: Und dann?
Kleimnich: Wie, und dann?
KREMagazin: Naja, und dann. Danach.
Kleimnich: Wie danach? Nach dem Schauspielern?
KREMagazin: Genau. Nach dem Schauspielern.
Kleimnich: Da bin ich dann fertig damit.
KREMagazin: Aha, spannend.
Kleimnich: ...
Kleimnich: Haben Sie noch so eine phänomenal intelligente Frage?
KREMagazin: Und ob!
Kleimnich: Na dann.
KREMagazin: Wo?
Kleimnich: Was wo?
KREMagazin: Wo schauspielern Sie?
Kleimnich: Och Leute, ist das jetzt das Niveau?
KREMagazin: Ja.
KREMagazin: Wo schauspielern Sie?
Kleimnich: Am Drehort.
KREMagazin: An welchem?
Kleimnich: Am vereinbarten.
KREMagazin: Und warum?
Kleimnich: Weil woanders keine Kameras sind.
KREMagazin: Wussten Sie, dass „Kleimnich“ so ähnlich klingt wie „kleinlich“? Das passt wirklich gut.
Kleimnich: ...
KREMagazin: Du, Frau Kleinlich? Was passiert eigentlich mit den alten Filmkameras? Kommen die ins Filmkamera-Altenheim?
Kleimnich: Herr Matereit, was sind Sie eigentlich für einer? Was wollen Sie darstellen? Sie sind weder lustig, noch sind Sie irgendwas anderes. Sie sind einfach nur peinlich, unfreundlich, bescheuert und ein Idiot!
KREMagazin: Das sagt man aber nicht, Frau Kleinlich!
Kleimnich: ...boah ey! Hören Sie damit auf! Sie sind kein Kleinkind!
KREMagazin: Das stimmt! Meine Mami sagt auch immer, dass ich schon groß bin!
Kleimnich: Sie sind ein wirklich ekeliger Mensch!
KREMagazin: Hihi. Ekelig ist, wenn ich meine Popel schnabuliere. Wusstest du, dass ich das mache?
Kleimnich: ...
Anm. d. Red.: Eine Tür wird geöffnet. Auf einem Freischwinger hinter der Tür sitzt Justus Matereit, ihm gegenüber, auf einem weiteren Stuhl, liegt ein Sack Kartoffeln, Typ „vorwiegend festkochend“, Herkunft: Lausitz. An dem augenscheinlich sorgsam aufgestellten Sack Kartoffeln ist ein Mikrofon angebracht. Man könnte meinen, Matereit würde die Kartoffeln interviewen.
Matereit: Was macht ihr denn hier? Ihr seht doch, dass ich gerade im Gespräch bin.
Anm. d. Red.: Wir weisen Matereit darauf hin, dass er einem Sack Kartoffeln gegenübersitzt.
Matereit: Das ist doch Unsinn. Seht doch hin, das ist die Schauspielerin Victoria Kleimnich, das ist ... das ist ... Moment mal, das ... sind ja ... wirklich nur Kartoffeln. Das sind nur Kartoffeln? Was mache ich hier bloß? Oh nein, ist das schrecklich!
Anm. d. Red.: Matereit weint.
Der wahrscheinlich profilierteste KREM-Mitarbeiter interviewt Kartoffeln. Es ist eine menschliche Tragödie.
Anm. d. Red.: Wir spulen das Aufnahmegerät, mit dem er das „Interview“ aufgenommen hat, zurück, und hören uns das bizarre Hörspiel an.
Matereit: Bitte hört euch das nicht an!
Anm. d. Red.: Zu hören ist ausschließlich Matereits Stimme. Einmal normal klingend, fragenstellend, einmal verzerrt, eine andere Person imitierend. Es wird klar, dass sich Matereit die Schauspielerin Victoria Kleimnich ausgedacht und selbst gesprochen hat. Das Tondokument ist verstörend. Matereit starrt mit leerem Blick auf den Kartoffelsack.
Matereit: Bitte macht das aus, ich kann mir das nicht anhören.
Anm. d. Red.: Wir lassen das Band laufen, Matereit verfällt in einen Heulkrampf.
Matereit: Wieso tut ihr mir das an? Wieso? Ich ertrage das nicht, macht das aus!
Anm. d. Red.: Die Aufnahme des „Interviews“ ist nach einigen Minuten zu Ende. Wir spulen zurück und starten das Band erneut. Es herrscht eine Stimmung wie bei einem Exorzismus. Es sind stark verzerrte Stimmen zu hören, parallel schreit und weint Matereit. Er fleht uns an, das Band auszuschalten. Was sich hier abspielt, ist für alle bedrückend. Die Anwesenheit der Kartoffeln wird beinahe unerträglich.
Matereit: ...erzählt das bitte niemals Christoph und Rüdiger. Schwört mir das ... die halten mich für irre ... die werfen mich hier achtkantig raus ... wer will schon 'nen Wahnsinnigen ... außerdem ... hallo? Hallo??
Anm. d. Red.: Außerdem was?
Matereit: Hallo?
Anm. d. Red.: Außerdem was?
Anm. d. Red.: Außerdem was? (schreit)
Justus Matereit: ...
Anm. d. Red.: Matereit hält den Sack Kartoffeln inzwischen fest umschlossen in seinem Arm. Er sitzt völlig regungslos da. Sein Blick ist auf die ihm gegenüberliegende Wand gerichtet, er schweigt. Wir verlassen den Raum und schließen leise die Tür hinter uns ab.
Das „Interview“ führte Justus Matereit
Kommentare
Hast du etwas dazu zu sagen?
Wo spielt Valentina Keimich? Weil im Plöner Theater habe ich Sie noch nie gesehen?
Ich würde Sie aber gerne mal kennen lernen.
Viele Grüsse
Wener Heiser
#Justusmuss(irre)bleiben
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#Justusmuss(irre)bleiben
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