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Unser Gastbeiträger Friedel Knotich |
Ich laufe mit meiner Bierflasche in der Hand über das Feld und bleibe vor den weißen Ziegen, die hinter einem hübschen alten Holzzaun den trockenen Boden nach Essen absuchen, stehen. Das Bier schmeckt erwartungsgemäß hervorragend und ich rülpse die Ziegen an. Sie bekommen einen Schreck, gehen einige Meter zurück, kommen aber nach ein paar Minuten wieder angelaufen – sie merken, ich führe nichts Böses im Schilde. Während ich mein Bier gewissenhaft immer weiter leere und eine besonders große Ziege beim Kacken beobachte, erscheint plötzlich ein circa neunjähriger Junge neben mir. Er hat kurze, hellblonde Haare (hochgegelt natürlich), sonnengebräunte Haut und ein sommersprossiges Gesicht mit großen, blauen Augen. Auf seinem weißen T-Shirt steht in verwaschener Blockschrift „LÄUFT BEI MIR“ und um seinen Hals baumelt ein Brustbeutel der Firma Scout, ein Schülerausweis ist darin erkennbar. Des Weiteren trägt er eine kurze Hose und Turnschuhe von Nike. „Ich habe vorhin die Ziegen an ihren Hörnern gezogen. Geschrien haben die, das war krass“, sagt er in meine Richtung – der Junge wirkt mit seiner Kleidung und Sprechweise wie die Karikatur eines neunjährigen Jungen. Er hat eine hohe heisere Stimme und ist, für Kinder seines Alters nicht untypisch, sehr extrovertiert. Seine Bewegungen sind ungelenk und sehen wie schlecht geschauspielert aus. Seine Erscheinung ist exakt so, wie ich einen neunjährigen Jungen beschreiben würde, wenn ich eine Begebenheit, in der ein neunjähriger Junge vorkommt, niederschriebe. „Was machst du hier?“, fragt mich die Karikatur eines Jungen. „Ich beobachte die Ziege dahinten beim Kacken“, sage ich, „und ich trinke mein Bier.“ Die Karikatur schaut jetzt auch zu der kackenden Ziege und fragt: „Warum machst du das?“ Ich schweige. „Der Leon, der ist mein bester Freund. Er hat mir neulich einen Penner gezeigt. Ich glaube, du bist auch ein Penner“, sagt die Karikatur zu mir – wie erfrischend ehrlich er ist ... was soll man darauf jetzt antworten? Selber Penner? Aber das kann man zu einem Kind bzw. einer Karikatur davon ja nicht sagen. Ich wette, er fragt mich gleich, was ich von seiner hässlichen, überproportional großen Armbanduhr halte. Ob ich die „cool“ finde oder sowas – wir schauen beide zu der Ziege, und dann: „Guck mal, in meiner Armbanduhr sind Kaugummis drin, wie findest du das?“, sagt die Karikatur – so, jetzt mal kurz Stop! Wenn das hier jetzt nicht der Beweis dafür ist, dass ich es hier mit keinem Kind, sondern nur mit einer Karikatur davon zu tun habe, dann weiß ich auch nicht. Unglaublich, wie berechenbar der ist. Soll ich mal eine Runde mitspielen und ihm den Wunsch erfüllen, seine Uhr „cool“ zu nennen? Mal sehen, was dann passiert. Und hey, Kaugummis in einer Uhr, das ist doch wirklich abgefahren – ich wende jetzt meinen Blick von der kackenden Ziege ab und sehe den Jungen an: „Deine Uhr ist extrem nice“, sage ich. „Findest du wirklich?“, fragt die Karikatur. „Na klar, Kaugummis in der Uhr sind superwichtig. Wenn du z. B. mal die Uhrzeit checkst und danach unbedingt einen Kaugummi brauchst, weil du sonst explodierst oder so (Jungs seines Alters lieben explodierende Menschen), ist das echt gut, wenn du so eine krank geile Uhr hast.“ Die Karikatur lächelt. „Willst du mir die Uhr abkaufen? Gebe mir 100 € und du kannst sie dein Eigentum nennen. Okay?“, sagt die Karikatur – so, genug mitgespielt, jetzt werde ich ihm mal die Wahrheit verraten und sein Weltbild zerstören. Ich sehe ihn an und sage schließlich in genüsslichster Langsamkeit: „Nein, ich will deine dumme Uhr nicht für 100 € kaufen. Deine Uhr ist absolute Scheiße. In der beschränkten Welt eines Neunjährigen ist eine Kaugummiuhr sicherlich cool, in der echten Welt, der Welt von Erwachsenen, ist sowas aber nichts weiter als Müll.“ Die Karikatur eines Jungen schweigt. „Warum quälst du eigentlich Ziegen? Findest du das toll, du kleiner Sadist?“, frage ich. Die Karikatur eines Jungen schweigt. „Ob du das toll findest?“, frage ich nachdrücklich. Die Karikatur schweigt und schlendert jetzt langsam weg, in die Richtung der augenscheinlich eigenen Mutter, die aus der Ferne kommend zügig auf uns zuläuft – wie sie zu ihrem Sohn schaut, ist wirklich bemerkenswert. Sie guckt, wie eine Mutter klischeehafter ihren Sohn unter der Maßgabe „liebend“ nicht anschauen könnte. Wenn ich die Mutter von einem neunjährigen Jungen in einer Geschichte mitspielen ließe, wäre der jetzige Blick dieser Frau genau das, was ich beschreiben würde. Exakt dieser Blick ... ich trinke mein Bier aus, betrachte noch ein paar Sekunden die Ziege, die unfassbarerweise immer noch kackt, und gehe.
Von Friedel Knotich (*1954)
Kommentare
;D
Gute Grüße
Grüße
Besten Dank
der Autor
Grüße
Friedel Knotich
Herr Knotich, wenn Sie nicht versprechen, mit dem Kommentieren unter falschem Namen aufzuhören, dann sehen wir uns beim KREM leider gezwungen, alle Kommentare zu löschen, da wir ja nicht mit Sicherheit ermitteln können, wer da wirklich hinter steckt. Versprechen Sie es also?
Wir sehen uns vor Gericht.
I Wir durfen alles.
Ia Ausnahme: Wir greifen in seine Rechte ein.
Ia1 Ausnahme: Wir dürfen in seine Rechte eingreifen.
II Er darf alles.
IIa Ausnahme: Er greift in unsere Rechte ein --> siehe Ia2
Christoph, ist Hajo eigentlich ein richtiger, also ein richtig echter Jurist? Irgendwie kommt der mir zuletzt eher wie so einer vor, der Juristensprache nur vortäuscht. Und sag mal, hast du Hajo ernsthaft "Herr Büttenschweiß" genannt?
Moment mal, heißt die wirklich "Harward Law School"? Hmm, irgendetwas irritiert mich daran ... aber was könnte es nur sein? Ach was, da ist nichts mit :)
mal nicht.
Wie geht's dir?
Nein, sagt mir überhaupt nichts.
Ich war noch nie in Essen.
Zuletzt haben wir uns gesehen, als du mit dem Motorroller nach Dänemark aufgebrochen bist. "Tschüs" hattest du zum Abschied gesagt. Ich habe versucht, dich dann nochmal zu erreichen...keine Chance
Das ganze spielte sich aber in Duisburg ab. Das mußt du doch wissen! Ich war noch nie in Essen!
Frau Dünnpfeiffer, ich nehm' das mal als Kompliment, auch wenn es wahrscheinlich nicht als solches gemeint ist.
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