Frankziska taumelte über die regennasse Straße. Autos hupten und dachten gar nicht daran, zu bremsen. Ampeln sahen ihr eigenes rotes und grünes Licht auf dem Fahrdamm gespiegelt. Der Wind kreischte und die Bäume peitschten aufeinander ein. Werbeausteller wurden gegen Hauswände geschmettert. Frankziska rannte in den Supermarkt, sie war völlig durchnässt. Neonlicht, Stimmen, das Schreien der Kassenscanner ergriffen ihre Sinne. Hektisch kramte sie einen Einkaufszettel aus ihrer Hosentasche. Kartoffeln (bio), Dosenmais, Kaffee (fairtrade, bio), Schlesische Schlemmerhappen, Klopapier, Rotwein (trocken, nicht aus D-land), Naschgiraffen, Kochschinken, Gumbo-Taler. Frankziska zerknüllte den Einkaufszettel und stopfte ihn wieder in ihre Hosentasche. Zielstrebig ging sie von Regal zu Regal, packte in ihren Korb, was brauchte. „Sagen Sie, sind Schlesische Schlemmerhappen mit Knoblauch, ich muss von Knoblauch immer so laut furzen!“, wurde Frankziska von einer Rentnerin angeblökt. Frankziska ignorierte die Frage und ging in Richtung der Kassen. Kasse 1 war leer, Frankziska sah ihre Chance. „Hier bitte nicht mehr!“ rief der Kassierer zu ihr. Sie ging zur nächsten Kasse. Gerade wollte sie die Gumbo-Taler auf das Band legen, da keifte auch dort die Kassiererin „Hier bitte nicht mehr!“ Frankziska war irritiert und rannte zur nächsten Kasse, auch dort schrie die Kassiererin „Hier bitte nicht mehr!“ Zur letzten Kasse kam sie gar nicht erst, „Hier bitte nicht mehr!“ wurde ihr aus der Ferne zugebrüllt. „Hier bitte nicht mehr!“, wiederholte Frankziska leise. „Wo soll ich denn bezahlen, wenn ich bei keiner Kasse ran darf?“ Außer ihr und den vier aggressiven Kassieren, die, wenn man sich ihnen zu sehr näherte, laut grunzten, war niemand mehr im Geschäft. Die Leuchtstoffröhren gingen aus, es wurde dunkel. Frankziska sah aus dem Fenster, der Wind schlug das Wasser gegen die Scheiben. Die vier Kassiererbestien, ja, es waren wirklich Bestien, bewegten sich nicht. Auch Frankziska bewegte sich nicht. „Wenn ich jetzt die Sachen einfach mitnehme, ohne zu bezahlen, dann komme ich hier raus. Außerdem wäre dann alles für umsonst“, sagte sie leise zu sich selbst. Langsam schlich sie zum Ausgang, da donnerte von allen Kassierern gleichzeitig: „Wir sehen das!“ Frankziska blieb stehen, warf den Korb auf den Boden und schrie „Was soll ich denn machen!!!???“ – Stille – Jetzt schrien die Kassierer, die nur noch im Chor antworteten, zurück: „Bezahlen, was sonst?“ Frankziska nahm ihren Einkaufskorb hoch und warf ich nochmal auf den Boden. „Und wie soll ich das anstellen?“, kreischte sie, „Wenn ihr mich nicht an eure Kassen lasst?“ Die Kassierer, deren Augen tiefrot leuchteten, schwiegen. Das Glas der Schlesischen Schlemmerhappen war bei Frankziskas wütenden Würfen zerschmettert. Aus dem Nichts kam ein weiterer Ladenmitarbeiter herangeeilt und wischte das Glas-Gurken-Gemisch weg. „Das müssen Sie nicht bezahlen.“ Er zwinkerte ihr mit seinen ebenfalls roten Augen zu und kroch so schnell wieder fort, wie er gekommen war. Frankziska nahm ihren Korb und schlurfte vor die Kassen. Die Monsterkassierer starrten sie an. Synchron stellten sie alle Schilder mit der Aufschrift „Diese Kasse ist zurzeit leider nicht besetzt. Wir bedienen Sie gerne an einer anderen Kasse“ auf das bewegungslose Fließband. Frankziska stellte den Einkaufskorb auf den Boden und setzte sich daneben. Sie weinte. „Was muss ich denn tun, damit ich bezahlen kann?“, sagte sie, nach Luft schnappend. „Ist das so eine Psychogeschichte, bei der es am Ende einfach um Arbeitnehmerrechte und den Alltag von Kassieren geht? So von wegen, dass ihr einen Scheißjob habt, in dem ihr gar nicht arbeiten wollt, und der nicht nach Tarif bezahlt wird? Geht’s eigentlich darum, dass ich als Konsument einfach mal ‚wachgerüttelt‘ werden und über eure Situation nachdenken soll? Habe ich recht?“ Die Kassiererbestien schwiegen kurz, dann schrien sie: „Nein, es geht hier um gar nichts! Wir sind einfach schreckliche Monster und wir hassen dich!" □
Kommentare
bzw. Infertigkeit angesichts heutiger übertriebener Erwartungshaltungen gedeutet werden. Schade, dass wir den Namen des Autors nicht erfahren.
ich finde den gender aspekt viel spannender. immer hin heist die dame (?) frankziska! Frank und franziska in 1. hat da jemand ne idee zu wie man das deuten kann?
nehm mir das man nicht kreumm rerbert, war joke
Über Frankziska bin ich auch gestolpert. Ich denke, es ist klar, dass damit deutlich gemacht werden soll, dass Menschen allgemein hier angesprochen, welches - oberflächlich biologisches - Geschlecht sie haben. Ich dachte, das sei Konsens, und hab's daher nicht erwähnt.
Beste Grüße
Rüdiger
PS. Agnieszka stinkt
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