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Mann beim Psychologen

In dieser Straße praktiziert Frau Zimmer.
Werff Betón schob sich durch den länglichen Gang zum Wartezimmer. So hatte er sich eine psychologische Praxis nicht vorgestellt. Es sah irgendwie ärmlich aus, wie bei einem besseren Hausarzt. Daß es überhaupt ein Wartezimmer gab. Aber er war der einzige Insasse. Kaum hatte er sich gesetzt und angefangen, einen Bildband mit Brücken-Fotos durchzublättern, als eine Anfang-30jährige ins Zimmer kam, ihm kurz zunickte und ebenfalls Platz nahm. In dem Bildband ging es vorrangig um Autobahnbrücken aus Osteuropa. Diese waren kategorisiert nach Typ und Entstehungszeit. Ohne Interesse sah Werff den Band durch. „Haben Sie auch einen Termin hier?“, fragte ihn die andere Wartende. Verdutzt sah er auf. „Ja“, erwiderte er kurz angebunden und tat so, als habe er ein interessantes ingenieurtechnisches Detail entdeckt.
„Ich komme oft hierher, quasi jeden Tag, wissen Sie? Deshalb muss ich oft warten, aber zum Glück haben sie hier ein Wartezimmer.“ Sie lächelte ihn an. „Aha“, entgegnete er.
„Sie sind ja nicht besonders gesprächig, da wird Ihnen Frau Zimmer aber nicht helfen können“. Nun grinste sie ihn an. Er setzte den Bildband ab und blickte zu ihr. „Ich bin hier wegen eines delikaten Problems, das ich bisher noch niemandem erzählt habe. Ich werde jetzt auch nicht damit anfangen. Ansonsten habe ich relativ wenig zu erzählen. Ich war noch nie hier, man hat mich hierher geschickt, weil die Kosten hier teilweise von meiner Kasse übernommen werden.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Ich bin ein wenig erstaunt über die Einrichtung dieser … Praxis, oder wie man das bei Psychologen nennt. Und ich werde Frau Zimmer alles erzählen, was sie wissen muß!“ Er prüfte, ob ihm noch was einfiel, um das Gesagte abzurunden, aber das war nicht der Fall. Mit einer Mischung aus Erwartung und Emotionslosigkeit sah er sie an.
Sie errötete. „Verzeihung … Ich glaube, ich fange noch mal neu an … Also, ich bin Frau Zimmer, wir haben hier kein Wartezimmer. Das ist nur ein Trick, um die Leute in ungezwungener Atmosphäre zum Reden zu bringen.“
„Funktioniert das bei anderen?“, fragte Werff verdattert, aber ehrlich interessiert.
„Nein.“
„Und … Stimmt das? Wie kann ich das überprüfen? Nachher sind Sie in Wirklichkeit nur eine neugierige Patientin. Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?“ Er lächelte triumphierend, weil ihm der Kniff mit dem Ausweis eingefallen war. Sie zeigte ihm ihren Ausweis. Tatsächlich, sie war es. Er beruhigte sich. Gleichzeitig beschlich ihn das Gefühl, es hier mit einer Verrückten zu tun zu haben.
„Nachdem wir uns nun also vorgestellt haben, schlage ich vor, daß Sie mir erzählen, weswegen Sie hier sind!“ Auf einmal hatte Sie einen sehr professionellen Tonfall, so daß Werff seine Sorgen wieder fahren ließ.
„Ja, beziehungsweise ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Werff Betón ...“ „Ungewöhnlicher Name, haben Ihre Eltern Migrationshintergrund?“
„Nein.“
„Ach so.“
„Ich arbeite in einem Architekturbüro als technischer Zeichner. Mit meinen Kollegen habe ich nicht viel Kontakt, sie würden mich wohl als „Außenseiter“ bezeichnen.“
„Das ist ungewöhnlich, daß jemand so über sich selbst redet“, meinte sie und notierte sich etwas auf einem DIN-A4-Blatt. Dann sah sie ihn an. „Fahren Sie fort!“
„Ich lebe allein in einer Zwei-Zimmer-Wohnung am Stadtrand. Meine Hobbys sind Mountainbike und Gartenarbeit. Ich habe aber nur einen großen Balkon, keinen Garten. Manchmal kommt mein Kumpel vorbei, dann spielen wir Skat.“
„Zu zweit?“
„Ja. Der dritte ist immer nur ein Kartenstapel, wo wir die oberste Karte abnehmen. Meistens spielen wir zu zweit gegen den Stapel. Meistens verlieren wir.“
„A-ha ...“ sagte sie gedehnt und tat so, als würde sie etwas notieren.
„Warum tun Sie nur so, als würden Sie etwas notieren?“, fragte er sie sichtlich verärgert.
„Ich … Sie haben eine gute Beobachtungsgabe!“, entgegnete sie und notierte nun tatsächlich etwas (dachte er, aber sie tat nur besser so, als ob – in Wirklichkeit schrieb sie nie etwas auf!).
„Gut, wo war ich? Ach ja, weswegen ich hier bin. Seit … circa vier Wochen träume ich immer wieder denselben Traum. Das wühlt mich immer sehr auf, ich kann gar nicht mehr schlafen deswegen. Beziehungsweise schlafen tue ich schon, aber ich wache immer schweißgebadet auf“, korrigierte er sich.
„Genau, das hätte ich sonst auch eingewendet“, grinste sie. „Erzählen Sie mir von Ihrem Traum!“
Eine Klugscheißerin ist sie ja schon, dachte er, aber vielleicht kann sie mir helfen.
„Also, mein Traum: Ich bin Schauspieler. Manchmal sehe ich mich auf dem Weg ins Filmstudio, ich werde chauffiert, alle erkennen mich auf der Straße und sind extrem nett zu mir. Manchmal bin ich aber auch schon im Filmstudio. Ich weiß nicht, was für ein Film dort gedreht wird, aber ich spiele die Hauptrolle.“
„Woher wissen Sie, daß Sie die Hauptrolle spielen?“, hakte Frau Zimmer nach.
„Keine Ahnung, es ist aber so. Ich spiele die Hauptrolle an der Seite einer weiblichen Darstellerin.“
„Kennen Sie sie oder kennen Sie sonst jemanden aus dem Traum?“
„Nein. Die habe ich alle noch nie gesehen.“
„Gut. Weiter, bitte!“
„Ja. Also, oft muß ich noch eine Weile warten, dann lese ich etwas oder vertreibe mir anders die Zeit.“
„Sie reden nicht mit ihren Kollegen?“
„Nein, ich sondere mich immer etwas ab.“
„Alles klar, wie im echten Leben also.“
„Genau. Irgendwann kommt dann der Regisseur rein und alle stehen auf, ich natürlich auch. Der Regisseur ist unhöflich, er kommandiert alle herum, und nach so fünf Minuten fangen wir an zu drehen.“
„Werden Sie nicht irgendwie vorbereitet? Maske, Kostüm etc.?“
„Nee, ich bin immer schon fertig, wenn ich ankomme. Keine Ahnung, wie das sein kann. Ich glaube, ich trage so ein Oberteil wie Old Shatterhand.“
„Sagt mir nichts. Ist das eine Fantasy-Figur?“
„Oh Mann, Sie kennen Old Shatterhand nicht? Das ist der Weiße, der sich mit Winnetou anfreundet.“
„Winnetou sagt mir auch nichts.“
„Im Ernst? Hallo, Karl May? Na, ist ja egal. Also, der Regisseur gibt mir Anweisungen, und ich … weiß nicht, was ich tun soll.“
„Wie?“
„Naja, ich verstehe nicht, was er sagt.“
„Warum nicht?“
„Er spricht eine andere Sprache. Und alle anderen auch.“
„Oh, das … interessant. Können Sie das noch etwas ausschmücken?“
„Na klar …

Western-Bar. Innen. Tag.
Regisseur: Какой чудесный день!
Ich: Wie bitte? Ich verstehe Sie leider n …
Regisseur: Так что, как это может быть?
Ich: Tut mir leid, ich … kann kein … was auch immer Sie da sprechen.
Regisseur (geduldig): Все действительно звучит так!
Ich (schaue zu Schauspielerkollegin): Was soll ich tun?
Schauspielerkollegin (schaut mich hochmütig an): Работая с профессионалами!
Ich (schaue zu Kameraassistenten): Hilfe, was soll ich tun?
Kameraassistent (desinteressiert): Он даже не проверяет, что это за язык.
Теперь инструкции директора написаны на русском языке.
режиссер: Что это за парень? Каждый день он приходит сюда и ничего не говорит.
я: …
(alle schauen mich an)
Актер-коллега: Эй, скажи мне, ты задница!
я: …
(alle schauen mich an)

„Ich glaube, ich habe es verstanden. Was für ein kranker Scheiß, wenn Sie mir diese flapsige Bemerkung erlauben.”
„Tun Sie, was Sie für richtig halten.”
Sie schrieb noch eine Minute etwas in ihren Block, dann sah sie ihn mit ernstem Blick an.
„Ich glaube, Sie haben Krebs”, meinte sie. Er starrte sie fassungslos an. „Krebs?”, brachte er nur heraus, „wie kann das sein?”, schob er hinterher.
Ihre Verständnisschwierigkeiten lassen auf einen Hirntumor schließen, der es Ihnen unmöglich macht, die im Traum aufgenommenen Informationen adäquat zu verarbeiten. Sozusagen der „Filter” zwischen Traum und … Hirnzentrum, also, ich bin auch keine Hirn-Ärztin. Aber das gab es schon öfter mit den Träumen …”
„Mo-ment mal. Also ich bin hier beim Arzt und Sie attestieren mir einen Hirntumor?”
„Ja, genau. Wieso?”
Frau Zimmer wurde nervös. Werff ging zu ihr und nestelte an ihrem Hals. Dann löste sich die Maske, die er zügig abriß. Sofort tat Zimmer es ihm gleich und löste seinerseits Werffs Maske.
„Dr. Onno Spahncke – daß ich nicht früher darauf gekommen bin”, meinte Werff, der eigentlich Jörn hieß. „Wie sind Sie mir auf die Schliche gekommen?”, fragte der renommierte Neurologe. „Es war einfach sehr unglaubwürdig, daß jemand „Hirn-Ärztin” sagt. Außerdem haben Sie eine sehr tiefe, sonore Baßstimme, sehr ungewöhnlich für eine Frau.”
Dr. Spahncke sah zu Boden. „Es tut mir leid, was mit Ihrem Bruder passiert ist. Ich war bei seiner Beerdigung, verkleidet, damit mich niemand erkennt. Da kam mir auch die Idee, verkleidet zu praktizieren. Es war anfangs so ein Spleen, aber als ich erste Behandlungserfolge erzielte – meistens seltsamerweise im neurologischen Bereich – eröffnete ich eine Praxis unter falschem Namen. Aber warum haben Sie sich verkleidet?”
„Ich wollte nicht, daß Sie mich erkennen, ich sehe meinem Bruder ja doch recht ähnlich. Ja, ich wußte es von Anfang an, aber ich wollte wissen, ob Sie es beim zweiten Versuch richtig machen. Ich las in medizinischen Fachzeitschriften, daß Träume wie der von mir geschilderte ein Symptom von Hirntumoren sein können. Ich wollte Ihnen einfach eine zweite Chance geben, damit ich meinen Frieden finde.”
„Ach, dann ist ja alles wieder gut. Ich glaube, dann kann ich auch wieder unter richtigem Namen praktizieren. Wissen Sie, die Geschichte damals hat mich beruflich doch sehr zurückgeworfen.”
„Sie dürfen aber nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, wenn Ihnen mal einer ,wegstirbt’, das ist nun mal Ihr Berufsrisiko, nicht wahr? Gut, die Behandlung meines Bruders war unter aller Kanone, aber Sie haben, denke ich, Ihre Lektion gelernt.”
„Nein, habe ich nicht. Wissen Sie, ich habe selbst einen Hirntumor, und der verursacht bei mir arge Aufmerksamkeitsdefizite und unpassendes Desinteresse.”
„Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn. Vielleicht hat der Verfasser dieses Textes einen Hirntumor und verarbeitet dieses Trauma mithilfe dieser Geschichte.”
„Das, mein Freund”, sagte Spahncke und goß noch Sherry nach, „äh, was habe ich gerade gesagt? Wie heiße ich? Ich bin ja nackt? Ist das jetzt das Ende?”

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Naja, eher nicht so geil die geschichte
Maria Gutbrecht hat gesagt…
@anonym: y? also ich find den klasse, den text. superlustig, extrem unerwartet, was da passiert und bei dem russischen hats mich echt weggehauen.

von mir thumbs ab.
COMMENT hat gesagt…
Vielen Dank an diesen großartigen Mann namens Dr. Agbazara, den großartigen Zauberwirker, der mir die Freude zurückbringt, indem er mir hilft, meinen Geliebten zurückzubringen, der sich vor vier Monaten von mir getrennt hat, jetzt aber mit Hilfe von Dr. Agbazara den großartigen Liebeszauber Zaubernden. Vielen Dank an ihn. Sie können ihn auch um Hilfe bitten, wenn Sie ihn in schwierigen Zeiten brauchen: ( agbazara@gmail.com ) oder WhatsApp +2348104102662
Christoph Teusche hat gesagt…
Irgend was stimmt mit der Nummer nicht. Ist +23481 überhaupt eine zulässige Vorwahl?

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