Wir befinden uns im Redaktionswald, im Interview-Studio, zwischen den Birken, Eichen und Buchen, im Sumpf, hinten links. Die Sonne scheint an diesem herrlichen Apriltag so intensiv, wie sie es eigentlich erst im Juli tut. Uns gegenüber sitzt eine Frau um die 40, ihr Name ist Kirstine Entwäder, sie ist „normschön“ und unauffällig gekleidet. Überraschenderweise haben alle MitarbeiterInnen des KREMs, die Entwäder begrüßen, Appetit auf knackigen Salat. Im Schlagschatten der Buche, ein paar Meter von unserem Interviewset entfernt, steht jemand. Wer, wissen wir nicht. Sehen können wir ihn auch nicht richtig.
KREMagazin: Frau Entwäder, schön daß sie Zeit für ein
Interview haben!
Entwäder: Ähh, ja okay.
KREMagazin: Tassia Rolenz, eine unserer eher ambitionierteren
Redakteurinnen hat sich überlegt, daß wir hier im KREMagazin für ein paar
speziellere Ausgaben Personen interviewen sollen, von denen ich keine
Hintergrundinformationen habe. Das Gespräch soll sich einfach entwickeln,
vielleicht haben Sie ja etwas Spannendes zu erzählen. Oder wir liefern uns hier
einen kleinen Schlagabtausch zu einem kontroversen Thema. Das steht alles noch
nicht fest.
Entwäder: Das klingt interessant.
KREMagazin: Frau Entwäder, wissen Sie vielleicht, wer der
Mann hinter dem Baum ist? Es ist doch merkwürdig, daß der da steht. Kommen Sie
doch rüber, wir haben hier genug Platz für Sie! Wir haben hier genug Dressing
für alle. Habe ich grad gesagt, daß wir genug Dressing für alle haben? Komisch.
Entwäder: Er wird nicht herkommen.
KREMagazin: Warum nicht? Kennen Sie ihn?
Entwäder: Er ist mein Vater.
KREMagazin: Äh, okay.
Dann wollen wir das mal dabei bewenden lassen. Was wollen Sie uns denn erzählen?
Haben Sie Hobbies?
Entwäder: Ja, ich habe Hobbies. Ich mache gerne
Tuschzeichnungen von Landschaften…
KREMagazin: …ach schön…
Entwäder: …aber leider bin ich oft krank und muss ins
Krankenhaus. Da kann leider ich nicht so gut malen.
KREMagazin: Oh, das
tut mir leid. Möchten Sie dazu noch etwas sagen? Wenn nicht, ist das auch
okay. Junge, was hab ich Lust auf einen schönen knackigen Salat mit einem
French-Dressing. Oh, hab ich das laut gesagt? Das war unangemessen,
entschuldigen Sie bitte.
Entwäder: Ist nicht schlimm. Zu meinen Gebrechen: Ich leide
immer wieder unter falschem Mehltau und Schneckenbefall. Die essen mich
regelrecht auf. Das ist schlimm.
KREMagazin: Wieso tun die das?
Entwäder: … also das liegt daran, daß…
Anmerkung der Redaktion: Auf einmal kommt Tassia, die
bislang hinter der Technik saß, in das Set gesprungen und unterbricht Kirstine
Entwäder, sie richtet sich an Fabian Mieroth, den Interviewenden: Sorry daß ich
hier so dazwischenfunke, aber ich wollte nur einwerfen, daß Frau Entwäder
natürlich von uns hergelockt … äh … eingeladen wurde, da sie eine ganz besondere
Lebensgeschichte hat.
KREMagazin: Okay, könnten wir jetzt aber weitermachen, wir
sind gerade in einer sehr sensiblen Situation, Frau Entwäder möchte mir gerade
etwas erzählen.
Entwäder: Ja, recht hat der nette Mann. Ich wollte gerade
was sagen. Ich stamme aus einer Familie, in der … wie soll ich sagen …
Nachfahrenformung betrieben wird.
KREMagazin: „Nachfahrenformung“, was soll das bedeuten?
Entwäder: Wir Entwäders ernähren uns seit Generationen
ausschließlich von Salat.
KREMagazin: Wie? Nur Salat?
Entwäder: Genau. Ausschließlich. Weil, vor vielen hunderten
Jahren hat einer unserer Vorfahren, der Ur-Entwäder, so besagt das die
Familientradition, angefangen, viel Salat zu essen. Er hat sich dann eine Frau
gesucht, die auch sehr viel Salat gegessen hat. Zusammen haben einige Kinder
bekommen, die sie nur mit Salat gefüttert haben und ihnen Ehepartner
ausgesucht, die auch sehr gerne/nur Salat gegessen haben. Und so ging das dann
immer weiter und weiter, daß wir alle nur noch Salatesser sind bei den Entwäders.
Das ist ein klassisches Zuchtkonzept.
KREMagazin: What the fuck.
Anm. d. Red.: Mieroth schaut entsetzt zu Tassia
Rolenz, sie grinst.
Entwäder: Ja, so ist das bei uns.
KREMagazin: Das ist ja Menschenzucht bei sich selbst … oder
wie man das nennen soll … aber warum?
Entwäder: Warum das mal angefangen wurde bei uns in der
Familie, wissen wir nicht. Aber jetzt wo das schon seit hunderten Jahren so
gemacht wurde, machen wir das auch weiter. Das ist doch eine besondere
Tradition.
KREMagazin: Sie sind eine Salatfamilie.
Entwäder: Gut gesagt, Herr Mieroth.
KREMagazin: Und was macht das mit ihnen?
Entwäder: Ich bin leider oft im Krankenhaus deswegen. Wie
gesagt, vor allem wegen falschem Mehltau und wegen dieser fiesen Schnecken.
KREMagazin: Wie jetzt? Die Schnecken kommen wegen des
Salats? Wollen die den Salat aus ihrem Bauch herausfressen?
Entwäder: Nein nein … sie kennen uns Entwäders scheinbar
nicht gut. Wir haben im Laufe der Zeit ein paar spannende genetische Sprünge in
der Familie gemacht. Inzwischen haben wir selbst einen ordentlichen Teil
Salaterbgut in uns. Die Schnecken wollen UNS aufessen.
KREMagazin: Das ist ja entsetzlich.
Entwäder: Und schauen sie mal, meine Hände sind auch leicht
grünlich. Und wenn ich Öl oder Essig rieche, will ich mich gleich darin wälzen.
Naja, so ist das.
KREMagazin: Ihre Hände sind ja tatsächlich grün! Puh! Sie
sind also halb Mensch und halb Salat, wie spannend. Ich wusste wirklich nicht, dass
es sowas gibt.
Entwäder: Es gibt nicht „sowas“. Es gibt uns, die Entwäders,
die aus Salat bestehen.
KREMagazin: Und was…
Entwäder: …Entschuldigung Herr Mieroth, aber könnten sie mal
rasch die Schnecke von meinem Rücken holen, sie will mich essen.
KREMagazin: Ja, natürlich.
Anm. d. Red.: Fabian Mieroth entkabelt sich, eilt zu Kirstine
Entwäder und setzt die Schnecke, die bereits ein stattliches Loch in den ihren
Rücken gefressen hat, ins Gebüsch in 20 Metern Entfernung.
Entwäder: Danke. Ist da schon was weggefressen im Rücken?
KREMagazin: Ja, ungefähr so groß.
Entwäder: Ach Mist, dann muss ich nachher wieder ins
Krankenhaus.
KREMagazin: Das tut mir leid! Tut es denn weh?
Entwäder: Noch nicht, aber die Behandlung wird schmerzhaft.
Und auf das Hin und Her mit der Krankenkasse freue ich mich auch schon. Weil
die wollen keine Rechnungen für meine Salatkörper-Behandlungen zahlen. Als
hätte ich keine Rechte.
KREMagazin: Naja, sie haben einen Körper aus Salat, das ist
schon ein sehr spezieller Fall.
Entwäder: Aber es gibt ja noch mehr spezielle
Menschenfamilien. Die Olivenmenschen, die Zitronenmenschen, es gibt auch Korkeichenmenschen.
KREMagazin: Ach was!
Entwäder: Ja, in Simbabwe wohnt z.B. die Familie De la Citróne.
Ein paar sehr nette Zitrus-Leute. Es gibt einen internationalen Verband von
Pflanzenmenschen. So lernt man sich kennen. Wir arbeiten gerade eine Satzung
aus. Kreuzungen sind verboten z.B., Dünger auch.
KREMagazin: Ich habe von all dem noch nie etwas gehört. Sehr
interessant. Aber man sieht ihnen das wirklich kaum an. Sie sehen aus wie eine
normale Menschenfrau. Fast ganz ohne Gemüse, nur eben die grünen Hände.
Entwäder: Ja, meine Generation hatte Glück. Aber bei meiner
Elterngeneration war ein absoluter Höhepunkt der genetischen Gemüsigkeit erreicht. Papa!
Komm mal her! Papa!!!
KREMagazin: Ach, das ist ihr Vater hinter dem Baum?
Entwäder: Ja. Papa! Komm doch mal her jetzt!
Hans-Walther Entwäder: Nein, ich will nicht!
Entwäder: Doch! Komm her jetzt. Ich will dich zeigen.
KREMagazin: Lassen Sie ihn doch, wenn er nicht will.
Entwäder: Das ist mein Gemüse-Papa und ich will jetzt, daß
er ins Licht tritt und seinen Salatkopf zeigt.
Anm. d. Red.: Hans-Walther Entwäder läuft langsam vor
den Baum.
KREMagazin: Hui! Der Mann sieht ja tatsächlich aus wie ein
menschengroßer Salat, wo ist denn da oben und unten? Herr Entwäder, ich grüße
Sie. Wo ist denn hier ihre Hand, daß ich die mal schütteln kann?
Hans-Walther Entwäder: Das ist mein Auge, an dem Sie gerade
ziehen. Aua.
KREMagazin: Oh, Entschuldigung.
Entwäder: Mein Papa ist ein totaler Salat. Also bei ihm ist
auch wirklich deutlich mehr Salat als Mensch in der DNA. Die hatten
sich innerhalb der Familie über Ewigkeiten nur mit Salatmenschen vermehrt, bis
sowas wie mein Papa rausgekommen ist. Glücklicherweise haben meine Eltern
eingesehen, dass mal wieder ein etwas „normalerer“ Mensch in die Erblinie muss.
Deshalb sehe ich so aus.
KREMagazin: Herr Entwäder, Sie haben sicher ein schweres
Leben.
Hans-Walther Entwäder: Ja, das kann man wohl sagen. Darf ich
wieder hinter den Baum gehen?
KREMagazin: Aber natürlich, wenn Sie das möchten. Wir haben
auch einen psychologisch geschulten Mitarbeiter, an den Sie sich wenden können.
Hans-Walther Entwäder: Nein, ich will einfach nur hinter den
Baum.
KREMagazin: Okay. Auch gut. Frau Entwäder, das war ein
spannender Einblick in ihr Leben. Mensch – Salat – wo ist hier die Grenze? Mir
fällt da spontan ein, daß das Wort „anmachen“ bei ihnen eine ganz neue
Bedeutung bekommt. Haha.
Anm. d. Red.: Von hinter dem Baum hört man ein Kichern.
Entwäder: Ja, super Witz. Wir Salatmenschen sind schon mit
einer ordentlichen Portion Humor gesegnet. Gerade Papa ist ein heiterer Salat.
KREMagazin: Werden Sie diese Tradition der Salatzucht fortführen?
Entwäder: Bei uns in der Familie heißt es nicht ohne Grund:
Ein Entwäder kennt kein oder. Auch ich werde Salatkinder bekommen. Unsere Gene
sind inzwischen sehr stark. Aber natürlich müssen wir dieses Konzept in die
Jetztzeit reintradieren. Wir können nicht völlig isoliert vom Gang der Welt Salatmenschen
bleiben. Auch bei uns spielt Diversity eine große Rolle. Wir hinterfragen uns
auch.
KREMagazin: Und was genau ist Salat-Diversity?
Entwäder: Weiß ich nicht.
KREMagazin: Ich danke für das Gespräch.
Anm. d. Red.: Hinter dem Baum sagt jemand leise „Tschüs“.
Das Gespräch führte Dr. Fabian Mieroth
Kommentare
Ich wollte auf Ihre Mitteilung antworten, Herr Andi-Dennis. Wenn ich in mein Internet reingehe, ist da immer die Seite mit den Sparangeboten von Reichelt auf der Startseite. Und dann klicke ich links auf das Symbol, dann Gelände ich direkt auf die Seite von der Zeitung hier. Aber heute morgen war das Symbol nicht mehr da. Können Sie es wieder dahin tun?
Ich sende Ihnen herzliche Grüße aus Neuruppin!
Ihr Hubert Brentano
in Zeile12 meines vorigen Kommentars hat sich ein Fehler eingeschlichen. Statt "Gelände" muss es "gelange" heißen. Ich bitte den Fehler zu entschuldigen!
Herzliche Grüße
Ihr Hubert Brentano
Ihr Hubert Brentano
da ist mir tatsächlich ein kleines malheur passiert. Nicht schlimm, das passiert mir auch dauernd.
Beste Grüße,
Andi vom Blogspot-IT-Service
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