Jens hatte was getrunken. Er wollte was essen, er hatte Fleischhunger. Ein Döner sollte es sein. Er ging in einen Imbiß hinein. Der Dönermann sah gerade fern, ein Fußballspiel lief. Ein türkischsprachiger Text lief als Band am unteren Bildschirmrand durch. Der Dönermann sah Jens und stellte sich in Position.
„Hallo Chef, was darfs denn sein?“, fragte er.
„Ich hätte nen Döner mit Doppelfleisch“, entgegnete Jens.
„Ein Döner mit Doppelfleisch“, wiederholte der Dönermann. Er prüfte das Fleisch und drehte den Spieß ein Stück weiter. Dann begann er zu säbeln. Im Fernsehen schien jetzt Halbzeitpause zu sein, jedenfalls war der Ton auf einmal lauter, eine Männerstimme sprach auf türkisch, dazu sah man einen Mann, der mit einem Rasierer vor dem Spiegel stand und sich sein Kinn streichelte.
„Wer spielt?“, fragte Jens. Ein anderer Mann, der bisher unbeteiligt war, musterte ihn nun. „Türkiyemspor gegen Istanbul“, sagte er. „Oh wow, das ist ja ne große Sache!“ - „Ist SEHR große Sache!“, entgegnete der andere.
Schweigen.
Der Dönermann hatte inzwischen zu Ende gesäbelt. Er ging zum Kontaktgrill und zauberte ein Brot daraus hervor.
„Welche Soße?“ – „Alle!“
Der Mann tat die Soße auf. Dann nahm er ein Metallbesteck und begann, das Fleisch in das Brot zu bugsieren.
„Salat komplett?“
„Ja.“
Nach dem Bezahlvorgang verließ Jens das Lokal. Schon auf der Türschwelle begann er gierig, den Fleischberg abzuessen. Normalerweise mochte er Fleisch nicht pur essen, aber erstens war es zu viel, um einen Bissen zu nehmen, bei dem auch noch was anderes als Fleisch in seinem Mund gelandet wäre. Zweitens war er so besoffen, daß er pures Fleisch gerade doch sehr lecker fand. Zügig arbeitete er sich zum Brotrand vor, wo er nun auch auf die anderen Zutaten traf. Nach ein paar Bissen hielt er inne. Der erste Appetit war gestillt, nun galt es das Tempo zu drosseln.
Er merkte plötzlich, daß er gar nicht so großen Hunger hatte. Er hatte ja auch vor kurzem erst gegessen, es war ja nicht der Hunger, der ihn zum Dönerkauf veranlaßt hatte, sondern dieser Heißhunger, der einen befällt, wenn man sechs Bier getrunken hat.
An der Hausecke saß ein Mann. Vor ihm stand ein Schild. „Meine Schwiegermutter ist krank. Bitte geben Sie mir ein bißchen Geld.“
„Was hat Ihre Schwiegermutter denn?“, fragte Jens.
„Meine Mutter hat große Schmerzen!“, sagte der Mann.
„Meinen Sie Ihre Schwiegermutter?“
„Alles, Mutter, Schweigermutter, große Schmerzen!“
„Würde Ihnen der Döner vielleicht helfen?“
Der Mann sah ihn ungläubig an. „Döner?“, fragte er.
„Ja, wissen Sie, da waren die Augen größer als der Magen. Sie können den Döner gern haben.“
Der Körpersprache des Mannes entnahm Jens, daß dieser der Transaktion gegenüber aufgeschlossen war. Handelt es sich überhaupt um eine Transaktion, wenn ich gar nichts zurückbekomme, fragte sich Jens, als er den Döner überreichte. Während er noch darüber nachdachte, zückte sein gegenüber plötzlich ein Amulett.
„Bist ein guter Mensch, bekommst du ein Amulett von meiner Schwiegermutter!“, sagte sein Gegenüber.
„Nein, lassen Sie nur …“, versuchte Jens abzuwiegeln.
„Bitte nehmen!“, sagte der Mann entschlossen und hielt ihm das Amulett hin.
„Na, okay“, sagte Jens und nahm das Amulett. Er schlenderte weiter und merkte plötzlich, wie er Appetit auf was Süßes bekam. Ein Schokoriegel wäre jetzt nicht schlecht, dachte er und betrat den nächsten Spätverkauf. Er suchte sich eine Süßware aus und zückte sein Portemonnaie. Eine dunkle Vorahnung überfiel ihn, und tatsächlich: kein Geld mehr! Mist!
„Sagen Sie, ich habe leider kein Geld mehr, ABER ich habe dieses Amulett. Wären Sie einverstanden, es einzutauschen“, fragte Jens den Verkäufer mit einer Verwegenheit, die nur der Suff kennt.
Der Verkäufer nahm das Amulett und prüfte es. Er sah zu Jens rüber, dem das ganze nachträglich immer peinlicher wurde, je länger der Moment andauerte.
„Ja, is gut“, sagte der Verkäufer schließlich.
„Im Ernst? Cool, danke!“
Grinsend verließ Jens den Laden mit der Schokolade und biß hinein. Mhm, genau das Richtige, dachte er. Er ging zur großen Kreuzung, es war rot. Jemand kam auf einem Fahrrad angefahren. Es war eine junge Frau, sie wackelte ziemlich.
„Ey, kann ich was von der Schokolade abhaben?“
„Hmm … Von mir aus. Is mir eh zu viel.“
Jens gab der Fremden den Rest des Schokoriegels. Die holte eine volle Bierflasche hervor.
„Hier, zum Tausch, ich mag nicht mehr. Willst du?“
Jens nahm die Flasche. Er verspürte eigentlich keine Lust, noch etwas zu trinken, aber ein Bier konnte man immer gebrauchen.
Es wurde grün, ihre Wege trennten sich.
Auf der anderen Seite vernahm er laute Stimmen. Als er weiterging, sah er zwei junge Männer, deren Streit gerade zu eskalieren drohte. Einer der Männer schüttete dem anderen gerade Bier ins Gesicht.
Jens ging näher. Er war mutiger, als er es nüchtern gewesen wäre.
„Warum streitet ihr?“
„Der hat mir mein Bier weggenommen!“
„Das ist mein Bier.“
„Nein, du hattest deins schon ausgetrunken!“
„Nein, du hast meins ausgetrunken! Darum steht mir deins zu.“
Der eine griff nach dem Bier, das der andere in der Hand hielt. Der andere wehrte sich, es kam zum Handgemenge. Dann passierte, was passieren mußte: Die Bierflasche fiel herunter und lief aus. Nun waren alle Dämme gebrochen, und die beiden fingen an, sich zu schlagen.
Jens stand eine Weile ratlos daneben, dann sagte er: „OK, paßt mal auf. Ich habe hier eine ganze Flasche Bier. Ich glaube, ihr könnt damit mehr anfangen als ich.“
Die beiden hörten auf zu streiten und sahen ihn an.
„Die willst du uns einfach so geben?“
„Ja, die habe ich eh gerade geschenkt bekommen im Tausch gegen Schokolade, die ich wiederum im Tausch für ein Amulett erhielt, das ich seinerseits im Gegenzug für einen halben Döner bekam.“
Sie glotzten ihn an. „Bist du so ne Art Hans im Glück?“, fragte der eine.
Jens grinste. „Jens – ich heiße Jens. Also Jens im Glück.“ Er stellte das Bier ab und ging nach Hause

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