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Scotland Yard

Constable Fredriksen tappte im Dunkeln. Jetzt waren sie dem Bankräuber schon zwei Stunden auf der Spur, aber er schaffte es immer, ihnen zu entwischen. Zum wiederholten Male funkte er mal wieder einen seiner Kollegen an. „Miller? Bitte kommen! Over!“ „Hier Miller. Was ist los, Chef?“ „Wo sind Sie jetzt?“ „Wir haben eben die S1 verlassen und steigen jetzt in die Ringbahn um. Fahren nach Tempelhof.“ „Okay, dann komme ich euch entgegen. Bin gerade in der U7. Am Mehringdamm steige ich in die U6 Richtung Alt-Mariendorf. Wir kriegen den Mistkerl!“ „Jawohl, Chef!“, bellte Miller. „OK, over und out!“ „Ach, Chef?“ „Was denn noch?“ „Woher wissen wir noch mal, daß der Kerl nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann?“ „Aber Miller, so sind nun mal die Spielregeln, das wissen Sie doch!“ „Wenn Sie erlauben, es sind blöde Regeln, Chef!“ „Ich habe sie nicht gemacht. Und jetzt ran an die Bouletten! Wir haben nur noch zwei Stunden Zeit!“ „Warum denn das, Chef?“ „Weil … es dann zu Ende ist. Miller, Sie stellen vielleicht Fragen! Over und out!“
Fredriksen stieg aus und überquerte den Bahnsteig, auf dessen anderer Seite bereits ein Zug der U-Bahnlinie 6 bereitstand. Da meldete sich die andere Ermittlergruppe, die dem Bankräuber auf den Fersen war. „Chef? Chef? Bitte kommen! Over!“ „Ja, was gibt’s, Dawson?“ „Wir sind an der Osloer Straße und ...“ „Wo seid ihr? Osloer Straße? Verdammt noch mal, was habt ihr da zu suchen?“ „Er war doch erst Richtung Wedding unterwegs, da dachten wir ...“ „Ihr werdet nicht fürs Denken bezahlt, sondern um den Schurken hinter Schloß und Riegel zu bringen. Meine Güte! Also paßt auf: Ihr fahrt jetzt mit der U8 runter zur Hermannstraße und erwartet weitere Befehle, ist das klar?“ „Ja, Chef, natürlich!“ „Gut! Over und out!“
Das Gespräch war gerade beendet, da meldete sich die Zentrale. „Constable Fredriksen? Bitte kommen! Over!“ „Hier Fredriksen, ich höre!“ „Wir haben gerade ein Funksignal abgefangen, daß eindeutig auf ihn zurückzuführen war. Er ist am Rathaus Neukölln.“ „Wie hat der das denn schon wieder angestellt?“ „Sir, wir vermuten, daß er am Bahnhof Neukölln ausgestiegen und zum Rathaus gefahren ist.“ „Na gut. Habe verstanden. Wir sind unterwegs. Over und out.“
Was hat er sich dabei denn gedacht, dachte Fredriksen, während er Dawson anfunkte, Rathaus Neukölln, da gibt’s doch nichts, höchstens Busse, aber da ist er ja ewig unterwegs. „Dawson, bitte kommen! Over!“ „Was gibt’s, Chef?“ „Er ist am Rathaus Neukölln! Hört zu, es kann sein, daß der Schweinehund sich mit dem Bus dünnemachen will. Ich werde am Platz der Luftbrücke aussteigen und mit dem 104er überfahren. Ihr fahrt bis Hermannplatz und steigt um in die U7, wenn ich mich nicht noch mal melde.“ „Verstanden, fahren bis Hermannplatz. Es wird aber noch eine Weile dauern.“ „Erinnern Sie mich nicht daran. Over und out.“ Der Zug hielt, Fredriksen stieg aus und ging zur Bushaltestelle, an der der Bus 104 abfuhr. Ein paar Touristen fotografierten ihn. Er störte sich nicht daran, rückte seine karierte Schiebermütze zurecht und ging weiter. Der Wind blies, so daß er sich den Trenchcoat fester zubinden mußte. Warum nur waren sie von der deutschen Polizei angefordert worden? Diese Deutschen waren sich wohl zu fein für eine Verfolgungsjagd. Das war ihnen wohl zu dreckig. Es konnte halt nicht jeder auf die harte Tour, so wie er. Während er auf den Bus wartete, der Verspätung hatte, funkte er Miller an. „Miller, bitte kommen! Over!“ „Hier Miller, was ist der Stand der Dinge?“ „Er ist am Rathaus Neukölln gesichtet worden. Fahrt zur Hermannstraße und wartet weitere Befehle ab. Diesmal kommen wir von allen Seiten, er hat keine Chance!“ „Verstanden, Sir. Fahren zur Hermannstraße. Over und out.“
Als der Bus endlich kam, waren fast zehn Minuten vergangen, seit sie erfahren hatten, wo der zu Verfolgende war. Sie fuhren ins Blaue hinein, und auch wenn in fünf Minuten (so wollte es die Regel) sein Aufenthaltsort bekanntgegeben würde: Er war ihnen einfach immer einen Schritt voraus. Das Funkgerät ging. „Chef, bitte kommen! Hier Miller! Over!“ „Was ist los?“ „Wir sind gleich an der Hermannstraße. Was sollen wir jetzt tun?“ „Jetzt erst?“ „Ja, es waren Bauarbeiten, daher standen wir auf freier Strecke!“ „Und das soll das Land der Pünktlichkeit und Ordnung sein? Jetzt geht er uns doch wieder durch die Lappen. Verdammt! Na gut, bleibt im Zug, wenn ich recht habe mit meiner Vermutung, fährt er zum Treptower Park!“ „Verstanden! Over und out!“
Nach fünf Minuten erfuhr Fredriksen, daß er rechtgehabt hatte. Der Flüchtige war am Treptower Park gesehen worden. Na bitte, ich weiß genau, wie der tickt, dachte sich Fredriksen und funkte Dawson an. „Dawson, bitte kommen! Over!“ „Hier Dawson. Was steht an?“ „Wo seid ihr?“ „Am Hermannplatz. Sollen wir weiterfahren?“ „Nein, steigt in den M41er um und fahrt zur Köllnischen Heide, falls er nach Schöneweide abhauen will!“ „Okay, wird gemacht! Over und out.“ Zufrieden lehnte sich Fredriksen zurück. Aber nach drei Minuten meldete sich Dawson erneut. „Was gibt’s, Dawson?“ „Da kam ein Bus, aber der Fahrer hat gesagt, daß alles voll ist, die ganzen Türken mit ihren Kinderwagen, meinte er, dann fuhr er einfach weiter.“ „Ihr seid Polizisten, Mensch, so was könnt ihr euch doch nicht bieten lassen.“ „Ja, Sir, verstanden“, meinte ein kleinlauter Dawson, „ach, da kommt schon der nächste. Over und out.“
Als Fredriksen endlich auf dem Bahnsteig des S-Bahnhofs Treptower Park stand, kamen ihm Miller und sein Begleiter entgegen, die gerade angekommen waren. Das Funkgerät meldete sich. „Hier Zentrale, er ist am Plänterwald, wiederhole, am S-Bahnhof Plänterwald!“ „Verstanden. Over und out!“
Dawson und Kollege waren mittlerweile an der Köllnischen Heide angelangt und wurden von Fredriksen umgehend Richtung Baumschulenweg dirigiert. „Von dort fährt er mit der nächstbesten S-Bahn eine Station bis Plänterwald. Wir sind am Treptower Park und ebenfalls eine Station entfernt. Jetzt sitzt er in der Falle!“ Währenddessen begann es zu schneien. Nach fünf Minuten fuhr ein Zug der S-Bahnlinie 9 ein. Alle drei Ermittler stiegen ein. Währenddessen meldete Dawson, sie säßen jetzt in einem Zug der Linie S 85. Die Zentrale meldete sich.
„Hören Sie? Er sitzt in Plänterwald fest. Wegen eines Streiks fahren bis auf Weiteres keine Busse mehr, er muß also S-Bahn fahren, doch da Sie auf den beiden Nachbarbahnhöfen sitzen, ist dies nicht möglich – sie wissen schon, die Regeln!“ „Wurde auch Zeit, daß wir ihn kriegen, schließlich haben wir nur noch 12 Minuten. Ich muß ehrlich sagen, ich war mir nicht mehr ganz sicher, ob wir es schaffen würden. Macht schon mal ne Flasche Sekt auf! Wir schnappen uns den Kerl! Over und out.“
Der Zug fuhr los, doch nach ca. 30 Sekunden erstarb das Motorengeräusch, der Zug rollte aus. Der Zugführer meldete sich. „Werte Fahrgäste, wegen Wintereinbruchs hat es einen Stromausfall gegeben. Das gesamte südliche Streckennetz ist bis auf Weiteres außer Betrieb. Wir danken Ihnen für Ihr Verständnis!“
Die Miene von Fredriksen verfinsterte sich. Das durfte doch nicht wahr sein. Per Funk vermeldete Dawson, daß sie vor dem gleichen Problem standen. Sie konnten sogar den Bahnhof Plänterwald schon sehen. Kurze Zeit später meldete sich der S-Bahnfahrer wieder. „Im Zug wird nicht geraucht! Das können Sie zu Hause machen!“ Dann hörte man nichts mehr.
Der Gangster hatte gewonnen.

Kommentare

Der Jasager hat gesagt…
Ist es wahr, weil es so traurig ist?
Der Neinsager hat gesagt…
Nein, es ist so traurig, weil es wahr ist.

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