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Ritt ins Blau – Siebenter Teil: Die Geschichtswissenschaft des Hermann Hoffnunger


Werte Leser,

in Folgendem möchte ich Ihnen einen wissenschaftlichen Aufsatz näher bringen, der mich seit der ersten Lektüre nachhaltig in meinem Denken beeinflusst hat. Es handelt sich um einen Text des elsässischen Geschichtswissenschaftlers und Soziologen Hermann Hoffnunger, der 1946 in den Wirren der Nachkriegswirren in Straßburg das Licht der Welt erblickte. Nach einem Studium an der Universität Tübingen und einer Promotion an der Université Strasbourg, baute er in Berlin das Sozialforschungsinstitut „Sozialforschungsinstitut“ auf und widmete sich fortan seinen Schwerpunkten. Die meisten seiner Schriften veröffentlichte er in den 70er und 80er Jahren, ab 1990 veröffentlichte er nur noch vereinzelt, bis er schließlich im Jahr 2000 nach langer und äußerst schwerer und sehr schmerzhafter Krankheit verstarb.
Der Aufsatz, den ich Ihnen heute präsentieren möchte, trägt den Titel Geschichte als Versuch. Eine kritische Umklammerung und stammt aus Hoffnungers frühen Schrift Der Zusammenhang von Struktur und These: Eine propädeutische Entgegenständlichung und bildet den Kerngedanken seines Hauptwerks.
Gleich am Anfang macht Hoffnunger klar, wie er geschichtstheoretisch geerdet ist: "Geschichte ist immer das Vergangene“, zitiert er Ernst Blerr (1902-1978), der mit seiner Arbeit das das 20. Jahrhundert prägende Paradigma des „unbedingten Vergangenheitsbezugs historischer Forschung“ aufstellte. Wenn jedoch Wolf Handwurm (*1950) in seinen Episteln an das Geschehene von der „Loslöung“ eben dieser Problematik spricht, dann kommt Hoffnungers Aufsatz noch einmal völlig anders daher.
Hoffnunger war zeit seines Lebens ein Geschichts-Historist par excellence. Dies wird sofort klar, wenn man sich in seine Denkstrukturen vertieft. So bezeichnet er den anthropologisch-kulturellen Ansatz Gangwolf Schünemanns als „zu auf sich selbst gerichtet, ohne das Vergangene an-sich zu vergegenwärtigen und daraus das Un-bedingte zu schlussfolgern.“ Als „im großen und ganzen scheiße“, bezeichnet er das weitere Vorgehen Schünemanns. Dies kann man vielleicht etwas besser nachvollziehen, wenn man mit dem Hauptgedanken Hoffnungers vertraut ist. Für ihn ist Geschichte die einzige Quelle wirklicher Erkenntnis. Mit diesem Anspruch muss er selbstverständlich auch einen Weg finden, wie man auf sinnvolle Weise zu dieser gelangen kann. Wenn das Verstehen des Vergangenen der einzige Weg ist, um schlussfolgern zu können, muss auf besondere Weise mit dem Vergangenen umgegangen werden. Wie hier im Einzelnen vorzugehen ist, hat Hoffnunger in seiner Analytischen Schrift manifestiert. Hoffnungers Konzept wirkt aus heutiger Sicht vielleicht etwas befremdlich, doch war er, auch wenn er es persönlich nicht gerne gehört hätte, ein Kind seiner Zeit. Die zentrale These des Werkes lautet: „Nachspielen“, das Vergangene müsse „nachgespielt“ werden, damit die „Geschichtswissenschaft am Nachgespielten ihre Instrumentarien der Analyse ansetzen kann“ und, so Hoffnunger weiter, „hieraus die einzig wahre Erkenntnis ziehen kann“. „Wie soll man denn“, fährt er in seinem Grundlagenwerk fort, „eine Begebenheit, die sich vor 200 oder 300 oder 400 Jahren zugetragen hat, betrachten können, wenn man sie nicht direkt vor den eigenen Augen hat? Schauspieler und Laiendarsteller müssen“, so schlussfolgert er, „so genau als möglich das Geschehen nachstellen. Erst dann kann der Historiker das große Schauspiel als Abbild der Vergangenheit (jetzt jedoch in der Gegenwart) beobachten und daraus seine Erkenntnis gewinnen.“
Wenn wir von dem Konzept des „Nachspielens“ reden, darf nicht verschwiegen werden, dass wir vom frühen und gemäßigten Hoffnunger reden. Anfang der 80er Jahre radikalisierten sich die Ansichten des promovierten Querdenkers schlagartig, er verwarf seine Theorien und forderte das „Wiederholen“ der Geschichte. Hierauf möchte ich nur am Rande eingehen, da sich mit dem Fortschreiten Hoffnungers Krankheit auch seine Gedanken immer weiter von der Realität entfernten. In seinem 1982 erschienen, 9300 Seiten starken Werk Meine Geschichte. Deine Geschichte. Wiederhol' mal! beschreibt er geradezu peinlich genau, wie das „Wiederholen“ der Geschichte organisiert werden solle. Um Ihnen den merkwürdig-schaurigen Charakter dieses Buches, er schrieb es, da war er schon schwerkrank, näher zu bringen, zitiere ich eine besonders schreckliche Passage: 

„...und dann müssen die riesengroßen Hallen gebaut werden, umschlossene Räume, in welche Gott und die Welt hineinpassen. (Es folgen an dieser Stelle alleine 200 Seiten Baupläne dieser 'riesengroßen Hallen'). Fortan werden alle Menschen in diesen Hallen wohnen und beginnen, sich auf die Geschichte zu besinnen. Als große Gemeinschaft können sie die Geschichte wiederholen ... Wie grausam oder brutal das Geschehen in der Vergangenheit auch gewesen sein mag, wenn es nicht immer und immer wiederholt wird, kann es nicht verstanden werden. Menschen müssen sterben und es muss wiederholt werden ... Die Kriege der Welt, lasst sie nicht unwiederholt. Ich sage es euch noch genau einmal: Wiederholt es! Wiederholt es! Wiederholt es!“

Man muss sagen, daß Hoffnungers Werdegang tragisch ist. Seine letzten fünf Schriften veröffentlichte er, da siechte er schon. Er verließ nicht mehr das Haus und Freunde besuchten ihn auch nicht mehr. Seine letzten literarischen Erzeugnisse, die sich noch immer mit der Theorie der Geschichtswissenschaft auseinandersetzten, verfasste er mit schwarzem Lack auf 80 mal 80 cm großen Metallplatten.
Wie sich das Denken von Hoffnunger entwickelt hätte, wenn er nicht so schwer erkrankt wäre, bleibt reine Spekulation. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass er mit seinem Frühwerk Literatur vorgelegt hat, die zweifelsohne eine gewisse Wirkung auf den Leser hat.
Vielleicht ist es das, was Hermann Hoffnunger zu so einer besonderen Persönlichkeit macht. Dass er auch im Angesicht des Todes nicht aufhörte, weiterzuschreiben. Man kann sagen, er war schon tot, da schrieb er noch.
Ich möchte gerne schließen mit einem Zitat des oben erwähnten Ernst Blerr, der im Jahre der Geburt Hoffnungers einen Satz in sein Tagebuch schrieb, bei dem man durchaus schmunzeln darf. Doch erst bei genauerem Hinsehen wird einem die Katastrophe bewusst, die in diesem Satz lauert und vielleicht am besten das ausdrückt, was Hoffnunger nie zu sagen vermochte: „Wenn in Geschichtsbüchern Druckfehler auftauchen, müssen die Geschichtsbücher umgeschrieben werden.“


Bernfried Schmiegl (Hrsg.): Hermann Hoffnunger - Gesammelte Werke von 1973 bis 2000, Schwarz-Weiß-Druck in acht Bänden, erschienen beim Verlag Muttersch & Schliethen, Flensburg 2003, 159,95 €.

Kommentare

Hermann Mann hat gesagt…
Wow, das ist tiefgründig?
Von diesem Hoffnunger habe ich noch nie gehört, aber ich werde in Zukunft mehr von ihm lesen, denke ich. Wolf Handwurm und Ernst Blerr sagen mir auch nichts. Aber das sagt wohl mehr über mich aus als über diesen gut recherchierten Artikel!
Manfred Mann hat gesagt…
Entschuldigen Sie, wenn ich mich in ihren Monolog einmische, aber kann es sein, daß wir verwandt sind? Ich frage nur, weil wir den gleichen Nachnamen UND die gleiche URL haben!
Frauke Mann hat gesagt…
Aber Herr Mann, also Manfred, Herr Manns, also Hermanns URL entscheidet sich schon etwas von Ihrer! Seine verweist der Adresse zufolge auf "die Manns", was in Deutschland gleichbedeutend ist mit der namhaften Schriftstellerfamilie, während sie auf "Dickmanns" verweisen, also auf eine Negerkußfabrik.
Christoph Teusche hat gesagt…
Frau Mann, bitte beachten Sie Ihre Wortwahl! Wir löschen hier eigentlich ganz gerne Kommentare, aber diesmal warnen wir vorher!
Hermann Mann hat gesagt…
Ich komme zwar aus dem Geschlecht der Manns, aber bin nicht schriftstellerisch begabt, leider. Ich fahre mit dem Bus.
Kotze von Brandenburg hat gesagt…
Entschuldigen Sie, aber hier von einem "Geschlecht" zu reden, ist doch etwas weit hergeholt. Ich komme aus dem Geschlecht der von Brandenburgs, Sie sind einfach ein Mann.
Kirstoph Selge hat gesagt…
Boah, knapp 160 € für acht Bände? Das ist ja ein Schnäppchen!
Kiter Verbel hat gesagt…
Ich habe ihn gehasst. Er war ein Spinner unter dem Denkmantel eines Irren. Seine Dissertation war voll von Rechtschreibfehlern, selbst auf seinem Grabstein (er hat keinen Grabstein) sind fast alle Wörter falsch geschrieben.
Quetelet-Kaup-Index hat gesagt…
Außerdem hatte er starkes Übergewicht.
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
@Kirstoph Selge: Das ist trotzdem ziemlich teuer. Es ist nicht mal bunt.

Die Redaktion
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Herr Fahrenschon, wollen Sie die Leser etwa davon abhalten, meinen Literaturvorschlag zu kaufen?

W. Brannt
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Werter Herr Brannt, man wird doch wohl noch bemerken dürfen, daß 159,95 € für das Werk eines Mannes nicht ganz billig ist. Unser Publikum kommt nicht ausschließlich aus Wannsee (Berlin) und München.
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Außerdem gibt es den Verlag "Muttersch & Schliethen" nicht. Wo soll man das achtbändige Werk denn erwerben? In Flensburg ganz sicher nicht.
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Unterstellen Sie mir gerade, daß ich mir die bibliographische Angabe unter meinem Artikel ausgedacht habe?
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Dann bezweifeln Sie auch sicher die Existenz Hoffnungers, nicht wahr? Und Ernst Blerr wird es dann wohl auch nicht gegeben haben!

Das ist eine Zumutung, Herr Fahrenschon! Ich habe das Vorwort zu den gesammelten Schriften Hoffnungers verfasst. Er persönlich hat es noch abgelehnt, doch als er dann tot war, konnten wir es natürlich dennoch abdrucken (er konnte ja nichts mehr dagegen sagen).
Das alles soll nicht wirklich passiert sein? Ich bitte Sie, hören Sie auf!
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Na hoppla, jetzt sieht das glatt so aus, als hätte ich hier einen Text als Wilhelm Brannt verfassst, nur leider unter meinem echten Namen. Das ist ungünstig...
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Und warum ich das nicht einfach gelöscht habe, wird sich der Leser sicher fragen.
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Was soll das, Herr Fahrenschon?
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Sie verwirren den potentiell sowieso schon irren KREM-Leser damit ungemein.
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Hören Sie auf damit, die KREM-Leserschaft als "irre" zu bezeichnen! Mit diesem Begriff wird man unserem Publikum in keinster Weise gerecht.
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Das ist doch völlig unsinnig, Herr Fahrenschon. Das haben doch sowieso wieder Sie verfasst.
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Das stimmt nicht!
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Sie schreiben doch die ganze Zeit unter dem Pseudonym "Wilhelm Brannt". Geben Sie es endlich zu, Herr Fahrenschon!
Auch dieser Kommentar wird doch gerade wieder von Ihnen verfasst. Hören Sie auf damit, die Leser und sich selbst zu belügen!
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Nichts gebe ich zu, Herr Brannt! Sie sind bloß wieder in einem Ihrer Demenzanfälle, Sie altes Fleisch!
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Jetzt hören Sie auf damit! Wenn ich wirklich gerade etwas schreibe, daß tatsächlich Sie schreiben, dann weiß ich nicht, was ich sein soll. Dann sind Sie wirklich irre, Herr Fahrenschon, da der ganze Dialog ja nur von Ihnen stammt. Und das kann ich wirklich nicht glauben!
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Das ist doch Unsinn, Herr Brannt. Würde ich so einen Streit offen beim KREM in der Kommentarfunktion zu einem Ihrer Artikel in dieser Weise publik machen? Das ist doch reichlich unwahrscheinlich. Das wäre ja ein Blankoscheck, mich für irre zu befinden.
Wilhelm Brannt hat gesagt…
Was soll ich sagen, Herr Fahrenschon? Diese Zeilen stammen doch auch wieder von Ihnen...
Rüdiger Hund hat gesagt…
Da muß ich meinem "Namensvetter" jetzt mal beistehen.
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Dankeschön, Herr Hund.
Mögen Sie eigentlich auch gerne Skispringen? Irgendwie muss ich gerade ganz intensiv an Skispringen denken :-)
Rüdiger Hund hat gesagt…
Nein, eigentlich nicht. Wieso werde ich das wieder und wieder gefragt?
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Schreibt man Sie nicht eigentlich "Hundt"? In dem Computerspiel "Skispringen 2000" werden Sie mit "dt" geschrieben.

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