Direkt zum Hauptbereich

Das Zeltlager des Mittelaltermarktes

Torsten Draeger war schlechtgelaunt. Er arbeitete als Feuerspucker auf Mittelaltermärkten und fuhr immer in der ganzen Republik umher, zusammen mit einer größeren Gruppe von Leuten: Händlern, Magiern, Musikanten und Narren. Zurzeit gastierten sie in Doberlug-Kirchhain. Die Menschen dort waren sehr schlicht, was gut war, denn umso leichter waren sie zu unterhalten. Doch andererseits machte sich die Hartz-Gesetzgebung an solchen Orten auch besonders bemerkbar. Gerade hatte er für sein „teuflisches Feuerspektakel“ Geldspenden in Höhe von lediglich 8,50 € erhalten. Was dachte sich dieser tumbe Pöbel eigentlich? Wovon sollte er denn leben? Die kriegten ja immerhin Geld vom Amt, aber er war Freiberufler, da hätte er tausend Nachweise bringen müssen, nur um  am Ende doch keine Ansprüche zu haben. Dann lieber irgendwie durchschlagen. Aber diese verdammten Doberluger machten es ihm schwer. Und es gab so viele Doberluger in Deutschland. Mit Schaudern dachte er an Bad Harzburg und Wismar, aber auch Duisburg und Bochum zurück. Das waren alles verfluchte Orte.

Torsten öffnete die Druckknöpfe seines Zeltes, um sich auf seine Schlafstatt zu legen – das heißt, er hatte es vor. Jemand war aber vor ihm dagewesen und hatte die Knöpfe geöffnet. Einbruch! Vorsichtig löste Torsten die letzten Knöpfe, dann zog er ruckartig die vorhangartige Zeltöffnung beiseite. Da saß Marina, die Schlangenbeschwörerin. Torsten fragte sich immer mal, ob man im Mittelalter tatsächlich Schlangen beschwört hatte, tendierte aber zu einem Ja, da ja „Mittelalter“ eine ziemlich lange Zeitspanne abdeckte und auch nicht so genau räumlich festgelegt war. Marina saß auf seinem Bett, die Augen geweitet, den Blick auf Torsten gerichtet. Als sie sah, daß er es war, entspannten sich ihre Gesichtszüge. „Was macht ihr hier, werte Dame?“, fragte Torsten sie. Er redete unbewußt so, wie er es von seinen Auftritten gewohnt war, sie alle taten das, die hier in Zelten und Bauwagen miteinander lebten. „Mittelalterisch“ hatte sich zu einem Mikro-Soziolekt entwickelt. Es war die natürliche Art, hier im Lager miteinander zu reden. „Verzeiht, werter Herr, daß ich euern Hausfrieden störe! Ich wußte nicht, wohin! Stellt euch vor, sie haben Hannelore getötet!“ Torstens Herz durchfuhr ein Stich. Seine Hände begannen zu zittern. „Han … nelore?“, sagte er, während ihm tausend Gedanken durch den Kopf gingen. Nach einer Weile fragte er: „Waren die das?“ Sie antwortete knapp: „Ja!“
Torsten war erschüttert. In ihrem Lager gab es zwei Gruppen. Ihre Gruppe, das waren die Magier und die Akrobaten. Die anderen rekrutierten sich aus den Reihen der Händler und Musikanten. Sie sahen sich als die Überlegenen an und wollten im Lager die Herrschaft an sich reißen. Torsten und seinesgleichen taten sie ab als unnützes, austauschbares Fußvolk. Die so Geschmähten lehnten sich dagegen auf, aber es wurde nur schlimmer: Die Händler und Musikanten begannen, sich als Klerus zu bezeichnen, stellten Verhaltensregeln auf und sanktionierten sie. Dazu warben sie die Narren an, eine von beiden Seiten gehaßte Gruppe, die käuflich war. Die Narren meldeten Gesetzesübertritte und sperrten die Angehörigen der anderen Gruppe in leere Käfige, die für Tiere gedacht waren (es waren auch immer Tierhalter im Lager, aber die hielten sich aus dem Konflikt weitgehend raus). Jetzt war es also zu einem Mord gekommen. Hannelore war erwischt worden, wie sie nach 22 Uhr nach Hause gekommen war. Es war streng verboten, das Lager so spät noch zu verlassen. Hinzu kam, daß sie Alkohol getrunken hatte – ein Privileg, das den Händlern vorbehalten war. Torsten genoß eine Sonderstellung, da er Alkohol zum Arbeiten brauchte. Doch als ob das nicht schon genug gewesen wäre, war sie auch noch in Begleitung eines Mannes gewesen, mit dem sie nachweislich nicht verheiratet war. Sie wurde vor die Wahl gestellt: Entweder sie würde innerhalb von 24 Stunden das Lager verlassen und nie mehr wiederkommen, oder sie würde mit dem Tode bestraft. Das Lager verlassen, das bedeutete den beruflichen Tod. Sie würde nie wieder auf einem Mittelaltermarkt arbeiten können! Allerdings hatte der echte Tod dieselbe Konsequenz. Aber Hannelore reagierte gelassen. Den „Priestern“ einen Vogel zeigend machte sie sich auf ins Bett. Am nächsten Tag, das war der heutige Tag, war alles normal gewesen, auf dem Mittelaltermarkt hatten sich alle ganz normal gegrüßt, wie es üblich war, wenn Zuschauer anwesend waren. Aber immer, wenn sie unter sich waren, deuteten die Händler mit einer Handbewegung über ihrem Hals an, was ihr blühte. Sie schien das nicht zu bekümmern. Der Bader ging zu ihr und redete auf sie ein: „Es wird großes Unheil über dich kommen, mein Kind! Flieh, brich auf, solange es dir noch gegeben ist!“ „Aber Bader, seht, die da reden, haben ein recht großes Mundwerk. Allein, glaubt ihr, sie stünden zu dem, was sie da sagen? Wisset ihr nicht, daß sie, allzumal sie doch Händler sein, ihr ganzes Streben darauf richten, ihre Worte über ihre Taten zu stellen?“ Hannelore war die beste Rednerin ihrer Gruppe.
Am Abend kehrte sie heim. Zwei Narren, die Fackeln trugen, erwarteten sie. Sie wurde in die Mitte des Platzes geführt, wo die Händler ihre kultischen Handlungen vollführen. Sie wurde ausgezogen. Man führte sie auf einen Stapel mit alten Werbeplakaten. Sie wurde an dem Laternenpfahl angebunden, der in der Mitte des Platzes stand.

„Dann ist sie gestorben!“ „Wie – bevor sie die Plakate angezündet haben?“ Vor Schreck vergaß Torsten, mittelalterisch zu sprechen. Auch Marina verfiel nun in Alltagssprache. „Ach, die hätten sie nicht angezündet. Das hätte nur geraucht. Sie wollten ihr nur eine Lehre erteilen. Nein, sie wurde erschossen. Von einem Besucher des Marktes, Hannelore hatte ihm die Zukunft vorhergesagt. Im Geständnis hat er alles erzählt. Sie weissagte ihm, er werde in nächster Zeit jemanden umbringen. Da dachte er sich, okay, dann bringe ich sie um.“
„Aber ich dachte … Du sagtest doch, ,sie' hätten sie umgebracht.“
„Ja.“

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Gibt es wirklich "Mittelalterisch"? Ich frag' nur...
Ich bin Linguist, keine Sorge :) Ja, es gibt "Mittelalterisch", wir sprechen von einem "Mikro-Soziolekt". Ich hoffe, ich konnte die Frage Ihren Ansprüchen genügend klären.

Am 27.11. halte ich an der TH Elsterwerda einen Vortrag über das Thema "Vokale im 4. Jahrhundert v. Chr. - Perspektiven eines verwaisten Forschungsfeldes". Falls Sie Interesse haben sollten, schauen Sie doch vorbei. Ich halte meinen Vortrag im "Nestlé©-Audimax" des Instituts für Vergleichende Literaturwissenschaft.

Herzliche Grüße M.B.
Nonstantin von Cotz hat gesagt…
hähäh, lustige Geschichte aba trotzdem scheise
Anonym hat gesagt…
Gute Idee, dafür Thumbs up, wie man neudeutsch so schön sagt. der anfang isst aber ein bissl wirr, finde ich. trotzdem: weiterso jungs und mädels!

ich übernehme übrigens keine gewähr für dieses kommentar :P nur spaß, man muss auch lachen können...
Christoph Teusche hat gesagt…
Herr Brzczsz ..., ich muss Ihnen widersprechen. Der Ausdruck "Mittelalterisch" wurde vom Verfasser nur gewählt, um zu erklären, welchen Stellenwert diese Art zu sprechen hatte. Deutlich wird dies, da die Geschichte aus der Erzählerperspektive, wenn auch in der 3. Person ("Stream of Consciousness"), erzählt wird. Sie setzen hier ungeprüfte Behauptungen in die Welt! Was für eine Art Prof. Dr. sind Sie eigentlich?

Herzlich
Dr. Karl Borough
Christoph Teusche hat gesagt…
Sehr geehrter Anonym,
haben Sie doch einem den Mumm, zu Ihren menschenverachtenden Aussagen zu stehen! Was sind Sie nur für ein Mensch! "Thumbs down", würde ich sagen.!
Kremfan01 hat gesagt…
Christoph du bist und bleibst Scheiße! Einfach S-C-H-E-I-ß-E!!!
Christoph Teusche hat gesagt…
Alle mal verhören!!

Um 00:39 Uhr am heutigen Tag wurde mit meinem Zugangskonto ein Kommentar unter dem Pseudonym "Dr. Marl Borough" abgefaßt! Dieser Kommentar stammt NICHT von mir? Ich wiederhole: Dieser Kommentar stammt NICHT von mir?
Wer kennt einen gewissen Dr. Mark Boroughs? Wie konnte dieser Dr. sich in mein Zugangskonto einwählen? Bitte sachdienliche Hinweise per Postkarte an unsere Redaktion schicken zu meinen Händen. Danke für die Aufmerksamkeit!
GEZ. T e u s c h e
Christoph Teusche hat gesagt…
Ich meinte "herhören"? Das war ein automatisches Korrekturprogramm!
Kremfan01 hat gesagt…
Ich verweise mit aller Entschiedenheit auf meinen obigen Kommentar!
Christoph geh sterben!
Christoph Teusche hat gesagt…
Moment! Sind Sie das?
Christoph Teusche hat gesagt…
Ich meine: Waren Sie das? Mit dem Identitätsdiebstahl?
Justus Matereit hat gesagt…
Christoph, hör auf, unseren Kommentarbereich so zuzumüllen! Nimm deine Pillen und leg dich wieder hin.

Der Nachruf auf Wilhelm ist übrigens fertig
Lila Kohns hat gesagt…
Christoph, kommt hinter "hör auf" ins Justus' Kommentar ein Komma? Ich frage nur, weil ich Kommasetzung nie so richtig konnte.

Ich finde übrigens, dass Justus echt zu pampig zu dir ist.

LG
Hanka Löse-Wurff hat gesagt…
@Lila: Warum auf einmal so nett zum Chef? Schielt da jemand auf den Posten des stellvertretenden Vize? In der Tat, stellvertretender Vize klingt bescheuert, das ist aber die einzige Stelle, die es zurzeit zu besetzen gilt.

@Lila nochmal: Normalerweise lästerst du doch nur über unseren Christoph. Er sei scheiße, er sähe von vorne aus, wie andere Menschen bestenfalls von hinten. Solche Sachen kenne ich eigentlich von dir...
Lila Kohns hat gesagt…
Halt dein Denunziantenmaul, Hanka! Christoph ist total edel, das ist meine Meinung!!!
Sehr geehrter Herr Dr. Borough,

ich bin promovierter und habilitierter Linguist und darüber hinaus leidenschaftlicher Literaturwissenschaftler, Germanist, Romanist und Semiotiker.

Meine Dissertation trägt den Titel "Rechtschreibfehler in der frühen angelsächsischen Gewaltdichtung - dargestellt anhand der im siebenten Jahrhundert verfassten südsächsischen Sage "Pahythlbært frym æ Fohonum".
Meine Habiitationsschrift befasst sich mit dem gleichen Thema.

Beide Werke sind beim Flensburger Wissenschaftsverlag "Muttersch und Schliethen" erschienen.

Haben Sie noch weitere Fragen?

Herzliche Grüße, M.B.
Christoph Teusche hat gesagt…
Herr Szczszch ... Okay, meine Zweifel bleiben, aber Sie scheinen Sie ja widerlegt zu haben

Frau Löse-Wurff, ich erwarte Sie umgehend in meinem Büro.

Frau Kohns, ich wollte die Stelle eigentlich mit einem Mann besetzen, denn wir sind sonst auch alles Männer in der Chefetage ... Aber wenn sich keiner bewirbt, haben Sie sie Stelle!
Sehr geehrter Herr Teusche,

warum antworten Sie auf meinen Kommentar zu Herrn Dr. Karl Boroughs Kommentar? Übrigens, ich habe früher selbst eine wissenschaftliche Wochenschrift herausgegeben ("Niederrheinische Schriften") und muss sagen, dass ich glaube, dass Sie kaum Autorität besitzen. Einer Ihrer Mitarbeiter, den ich namentlich nicht nennen möchte, hat mir die Statistiken Ihres Blogs gezeigt. Das sind FINSTERE Zahlen, Ihre Artikel liest ja niemand! Wie können Sie einen Stab von über zehn Journalisten bezahlen? Außerdem: Wieso wird hier in der Regel nur alle zwei Wochen etwas veröffentlicht, wenn Sie so ein großes Team sind?

Herzliche Grüße, M.B.
Lila Kohns hat gesagt…
@Christoph: Cool, danke Chef! <3
Anonym hat gesagt…
In Wirklichkeit sind das wahrscheinlich nur zwei Leute, die unter Pseudonym schreiben ...
Christoph Teusche hat gesagt…
Sehr geehrter Prof. Dr. Mikhail Brzeszczinorzwski,

ich habe unter falschem Namen kommentiert. Gönnen Sie mir doch auch mal etwas Spaß ;)

Beliebte Posts aus diesem Blog

Der Herr des Rings

Es war einmal ein Land, das war nicht von dieser Welt. Es lag im Gestern, hinter dem Schleier oder, sagen wir, zwischen Donnerstag und Freitag. Die Wesen in diesem Land waren keine Menschen, aber doch menschenähnlich, jedoch mit einer körperlichen Abweichung, in etwa von der Art wie zwei Widderhörner auf der Stirn. In diesem Land lebte auch Theuro. Theuro hatte keine Widderhörner. Seine Eltern machten sich Sorgen um ihn. Nicht nur, daß er anders aussah als die anderen, er lebte auch in einer anderen Welt – im übertragenen Sinne diesmal. Theuro gab nichts auf die zahlreichen Konventionen, er konnte nichts und niemanden ernstnehmen. „Junge, dir wird großes Unheil widerfahren“, das waren die Worte der Mutter, wenn er mal wieder die ungeschriebenen Regeln des Zusammenlebens gebrochen hatte. „Mir schwant Übles“, pflichtete ihr dann der Vater bei. Eines Tages ging Theuro sein Einhorn ausführen, da traf er am Wegesrand eine Fee. Feen waren nichts Ungewöhnliches in dem Land, in dem Theuro

Zwei Jahre DER KREM

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder! Es ist mir – davon bin ich überzeugt – eine Ehre, heute hier an meinem Computer zu sitzen und Ihnen diese Rede zu schreiben. Als technikaffiner Akademiker mit Do-it-yourself-Mentalität stehe ich dem Internet offen gegenüber. Mehr noch: Als Mensch ohne Migrationshintergrund bin ich (auch fachlich) interessiert, wie Informationsströme Grenzen überwinden und dabei soziale Prozesse auslösen. Damit nicht genug: Als besorgter Bürger mache ich mir Sorgen um unsere Sicherheit. Praktisch: Als gelernter Hubschrauberpilot kann ich Hubschrauber fliegen. Heute aber spreche ich zu Ihnen als der Techniksoziologe, der sich mit Leib und Seele der Techniksoziologie verschrieben hat. Gestatten, mein Name ist Kiter Verbel.

Die Gitarre

Am 17.02.2011 ging Walther Benarsky in Sölden zu dem Gitarrenbauer Franz Merten. Benarsky betrat den Laden, schaute sich ein wenig um, freute sich und schritt sodann zum Verkaufstresen: „Guten Tag, mein Name ist Benarsky, wir hatten telefoniert.“ Darauf der Gitarrenbauer: „Benarsky, Benarsky, genau, Benarsky! Tut mir leid, ich war gedanklich noch woanders. Genau, ich hole gleich mal ihre Gitarre, sie ist tatsächlich erst gestern Abend fertig geworden. Aber schön ist sie.“ Sodann verschwand er in einen kleinen Hinterraum. Er pfiff fröhlich die Melodie des Horst-Wessel-Liedes.