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Güşbeşet’s Dream. Kapitel 2: Sandige Klischees

Irgendwie ist heute nichts los hier. Deswegen schreibe ich auch den Text gerade. Meine Mama ist seit vorhin mit unserem Teppich zur Reinigung unterwegs. Wir haben ganz oft das Problem, dass wir richtig viel, also mega viel Sand im Teppich haben. Das ist so, weil der Teppich immer draußen auf dem Boden liegt und da ist halt ganz viel … genau: Sand. Da nützt auch stundenlanges Ausklopfen nichts. Der ist dann richtig tief in den Knoten drin, da kann man nichts machen. Also als Normalo nicht, in der Reinigung haben die hier solche Monstersauger, die das raussaugen können.

Wenn da so viel Sand ist, wo der wohnt, kommt der dann aus Brandenburg, fragt ihr ihr euch jetzt wahrscheinlich. Nee, kommt er nicht. Wo ich herkomme, will ich euch nicht sagen, ich kann es aber mal ganz grob andeuten: ich wohne in Asien, so irgendwo zwischen Indien, Kasachstan und Saudi-Arabien. Ich mach da nicht mehr so präzise Angaben, weil da ist mir schon mal was Unschönes passiert. Mich haben mal Zeugen Jehovas auf der Straße vollgequatscht und mich nach meiner Adresse gefragt. Ich habe denen blöderweise meine echte Adresse gegeben und dann standen die fünf Mal, in echt jetzt, fünf Mal vor meiner Tür. Seitdem bin ich da deutlich vorsichtiger.
So, ihr denkt jetzt wahrscheinlich auch, na klar, der kommt aus'm Orient, deswegen hat der Probleme mit Sand und mit 'nem Teppich. Das klingt bescheuert, ich weiß, aber das ist ein echtes Problem, das man hier öfters hat. Unsere Teppiche liegen halt viel draußen rum, vor den Häusern oder im Hof, und da ist überall Sand. Überall! Unsere Häuser hier sind aus Holz und aus Lehm (also auch irgendwie aus Sand). So ein bisschen sieht das hier aus wie in Kashgar in China. Kennt ihr Kashgar? Googelt das mal. Das ist die Uiguren-Hauptstadt, die gerade von den Chinesen platt gemacht wird. Ich will jetzt nichts Politisches oder so sagen, aber so ungefähr so sieht’s hier bei mir auch aus.

Klischeehafte Darstellung eines Bewohners
des mittleren Ostens, Zeichnung: 
Güşbeşet Khoud

Tja, Teppiche, Sand und Lehmhäuser. Das klingt schon sehr nach mittlerem Osten, wie es in den Nachrichten so schön heißt, ich weiß. Aber guckt mal, es gibt noch viel mehr Orientbegriffe: Tausend und eine Nacht, Aladdin, Muezzin, Sahara, Flaschengeist, Fakir, Shisha. Ich kann verstehen, dass ihr da Bilder im Kopf habt. Wer hat sowas nicht? Ich meine, wenn ich an Deutschland denke, dann fällt mir auch sofort Hitler ein und Weißwurst, Pünktlichkeit, Nazi, Tatort. Ja, Tatort. Das hättet ihr wahrscheinlich nicht gedacht. Das kennt doch kein 13-Jähriger Junge aus Zentralasien. Eigentlich stimmt das auch, aber neulich lief nachts auf Al-Jazeera so eine Doku über Deutschland, wo die gesagt haben, dass es ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass alle Deutschen abends Tatort gucken. Vor allem Schimanski aus Duisburg. Der soll angeblich besonders cool sein, weil der immer schreit. Weiß ich nicht, habe ich noch nicht gesehen, stimmt aber bestimmt.
Wo war ich? Ach so. Auf jeden Fall, dass hier in Asien viel Sand ist, kann man einfach nicht leugnen. Und dass man deswegen auch oft z.B. Sand in den Schuhen hat, ist einfach so. Aber ich will jetzt eigentlich gar nicht nur über Sand reden, ich wollte was über ein lustiges Kamel erzählen, das ich gestern gesehen habe. Jaaaaa klar, ein Kamel, natürlich, denkt ihr jetzt wahrscheinlich. Warum nicht noch 'ne Oase und ein fliegender Teppich. Geschenkt. Kamele sind Orient hoch zehn, ich geb's ja zu.
Ich glaube, Vorurteile sind einfach irgendwie ein bisschen wahr. Wenn man jetzt an Australien denkt zum Beispiel, was hat man als erstes im Kopf? Bingo! Ein Känguru. Das ist einfach so. Und warum ist das so? Weil es in Australien total viele Kängurus gibt. Die haben, prozentual gesehen, auf einen Menschen zehn Kängurus oder so. Das habe ich mal irgendwo gelesen. Deswegen hat man gleich ein Känguru im Kopf, weil das auf einer Tatsache beruht. Vorurteile sind nicht zwingend was Schlechtes, finde ich. Man weiß halt gleich, mit wem man es zu tun hat. Ein Deutscher ist halt wahrscheinlich sehr pünktlich. Da weiß ich bescheid, da komme ich besser auf die Sekunde genau. Sonst hetzt der seinen Schäferhund auf mich. LOL. Okay, natürlich stimmt nicht alles, was es so an Vorurteilen so gibt, das ist klar. Nicht jeder Ami wiegt 1000 Kilo, nicht jeder Afrikaner kann gut tanzen (man denke nur an die ganzen Kindersoldaten, die sind doch alle Psychowracks und haben bestimmt keine Lust mehr zu tanzen), auch nicht alle Deutschen sind Nazis. Schimanski zum Beispiel ist kein Nazi, das ist aber auch der einzige Deutsche, den ich kenne. Wobei, Achim Menzel kenne ich auch noch, über den habe ich zufällig mal den Wikipedia-Artikel gelesen. Deswegen weiß ich auch, dass es in Brandenburg sandig ist, weil der Menzel aus Brandenburg kommt und ich mich dann so weitergeklickt habe und ich dann was über die Geologie von Brandenburg gelesen habe. Aber ich schweife schon wieder ab, ich wollte ja was über ein lustiges Kamel erzählen, dass ich gestern gesehen habe. Wobei, scheiß drauf, wer will schon was über Kamele wissen. Ich sollte lieber mal meinen Turban neu binden, der ist nämlich inzwischen ganz locker geworden.

Auszug aus: Solomon Kerç (Hg.): Güşbeşet’s Dream. Fairytales of a Central Asian Adolescent, Birmingham/London 2012, ins Deutsche übersetzt von Nero Sandener.

Kommentare

Agnieszka Hofmanowa hat gesagt…
Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ist Ihnen aufgefallen, dass die Zeit des Augenkrebses beim KREM vorbei ist? Wir haben unser Magazin pünktlich zum fünften Geburtstag einer KREM-O-Therapie unterzogen und damit alle Design-Metastasen beseitigt. Das patentierte KREMblau© haben wir hierbei behutsam nachgedunkelt, gleichzeitig haben wir unseren bislang etwas zu klaren KREM-Schriftzug in eine augenschmeichelnde Antiqua überführt.
Die größte Veränderung erblicken Sie aber zwischen den Worten DER und KREM. Bei diesem quirligen Genossen, der gewollt holzschnittartig daherkommt, handelt es sich um KREMislaw II., den wendischen Schutzpatron aller verwirrten Journalisten. Viel ist über dieses historische Kerlchen nicht überliefert, eigentlich nur, dass es sich „immerwährend im Ton vergriffen“ hat. Grund genug, es in unsere neue Aufmachung zu integrieren.

Nehmen Sie sich Zeit, die Neuerungen ausführlich zu betrachten, und lassen Sie uns wissen, was Sie von unserer neuen Typographie halten.

Bert Nehmense hat gesagt…
Also ich hätte gern mal eine Frage: Wenn der Mann so gut deutsch kann, wieso muss das Buch dann erst noch übersetzt werden? Logik-Fail!
Nero Sandener hat gesagt…
Lieber Herr Nehmense,

der Autor dieses Werks, Güşbeşet Khoud, ein jugendlicher Turkmene, hat zunächst auf turkmenisch ein Online-Tagebuch geführt. Darauf aufmerksam ist Solomon Kerç geworden, ein Brite mit turkmenischem Hintergrund. Dieser hat mit Zustimmung Khouds die Texte ins englische übersetzt und 2012 herausgegeben. Schließlich bin ich auf dieses außergewöhnliche Werk aufmerksam geworden. ICH habe es in die deutsche Spreche übersetzt. Die komplette Übersetzung erscheint im kommenden Jahr, beim KREM werden aber jetzt schon ausgewählte Kapitel veröffentlicht.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.

Beste Grüße
Nero Sandener M.A.
Nero Sandener hat gesagt…
Zwei Anmerkungen habe ich noch: Das Wort "englische" in der dritten Zeile meines Kommentars muss natürlich groß geschrieben werden. Und zu der Frage, warum der Autor "so gut deutsch kann": Er beherrscht die deutsche Sprache nicht, interessiert sich aber für Deutschland und kommt in seinen Texten immer wieder auf dieses Land zurück.
Bert Nehmense hat gesagt…
Entschuldigen Sie, aber er hat Wikipedia-Artikel über Achim Menzel und die Geologie Brandenburgs gelesen. Den Tatort, sagt er, könne er nur deshalb nicht beurteilen, weil er ihn noch nicht gesehen habe und nicht wegen der "Sprachbarriere". Noch Fragen?
Nero Sandener hat gesagt…
Lieber Herr Nehmense,

ich verstehe Ihren merkwürdigen Zweifel nicht. Warum soll er keine Wikipedia-Artikel gelesen haben. Als Turkmene spricht er natürlich auch russisch, was ihm eine Vielzahl an Wikipedia-Artikeln zugänglich macht. Außerdem ist er ein aufgeweckter junger Kerl, der an vielen Dingen interessiert ist. Dass er auch einen etwas abseitigen Humor hat, was er selbst.
Und noch zum Tatort: Dass er den Tatort mit Schimanski noch nicht gesehen hat, ist doch keine merkwürdige bzw. unpassende Aussage. Warum sollte er da auf die Sprachbarriere eingehen?

Und noch zum Schluss: Ich habe den Text übersetzt. Im Original klingt er deutlich anders. Auch die Bedeutung vieler Sätze habe ich verändert, teilweise habe ich Dinge ganz nach meinem Gusto einfach eingebaut, bspw. die eben benannte Tatort-Passage. Natürlich kennt er den Tatort nicht, und auch Achim Menzel wird er nicht kennen.

Beste Grüße
Nero Sandener (M.A.)
Bert Nehmense hat gesagt…
Das ist Plagiat, nur umgekehrt! Sie schmücken sich mit den Federn eines bekannten turkmenischen Autors und un Wirklichkeit kommt der Salm von Ihnen! Weil Sie sonst nämlich keine Plattform für Ihre abseitigen Texte bekämen!
Jan Dummerjan hat gesagt…
Also, ich wollte mal was zum neuen Design schreiben. Die Texte sind jetzt lesbarer (ich konnte vorher nicht lesen). Blau finde ich als Farbe auch besser als vorher. Warum hat Herr Mußmath eigentlich einen Gepard (könnte es auch ein Leopard sein, die werden oft verwechselt)?
Heinz Kasurschewski hat gesagt…
Nen schön juten Bongiorno ma inne Runde,

ick muss Jan Dummerjan da janz und jar zustümm. In der neuen Jestaltung steckt richtich Musike drinn. Det ist würklich ne Premium-Typo, anners kann man det nich saren. Nüscht für unjut, ick muss dann auch ma wieda.

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