Ein Sonntagnachmittag. Es ist schönstes Sonnenwetter an einem Septembertag. Ich bin zu Besuch beim Minigolfverein Lichtenrade in Berlin. Eine Gruppe leicht untersetzter Menschen schart sich um eine Minigolfbahn. Als ich mich nähere, wendet sich mir einer von ihnen zu und stellt sich als Ingo vor. „Ich bin hier der Vorschwitzende“, ergänzt er grinsend, was seine Gesellen mit Gelächter quittieren. Sie alle tragen Shorts, großzügige Sonnenhüte und identische T-Shirts mit dem Schriftzug „BauTech Immo“. „Unser Sponsor“, verrät mir Ingo. Im Moment stehen sie gerade an einer Bahn, die wie ein eckiges S aussieht. Ursel ist dran. Sie peilt mit der Hand, zirkelt mit dem Schläger und zack! – hat sie den Ball über drei Bande ins Loch gespielt. „Sauber!“, ruft Siggi und beißt in eine Pommes. „Dit is unsere Quotenfrau“, wirft Ingo ein. „Früher kam se imma und hat einfach so jespielt, und denn hat se mit een von der Truppe anjebandelt.“ Ursel wirft ihm einen leeren Blick zu und zuckt mit den Achseln. „Also, wir grenzen hier keen‘ aus“, ergänzt Ingo und lächelt verkrampft. Nächster Spieler ist Siggi, der sich notdürftig die Finger am Shirt abwischt und den Schläger zur Hand nimmt. „Und von wegen Essen, dit sieht man hier ooch locker, sarick mal“, erläutert Ingo ungefragt, „wir sind hier ja ne Amateurtruppe. Ooch wenn die Regularien eijentlich war anderet saren, wa, Siggi?“ Siggi grunzt etwas Unverständliches und hebt zum Schlag an. Zack – eingelocht. „Na, jelernt is jelernt!“, kommentiert Ingo.
Bahnwechsel. Hier steht eine Art Vulkan, in dessen Krater der Ball gespielt werden muß. Der erste Spieler unterschätzt seine Kraft und schießt über das Ziel hinaus. „Halt mal dein südländischet Temperament im Zaun“, wirft Ingo grinsend ein. „Bogdan kommt nämlich aus Jugoslawien. Also, wir machen da jar keen‘ Unterschied, bei uns kann wirklich jeda Mitglied wer’n.“
Daß mal ein Ball daneben geht, kommt schon vor, meint Ingo nach dem Spiel. "Jeda hat ma'n schlechten Tach, sarick mal." Aber bei zwei Fehlschüssen drohen Konsequenzen: "Denn muß man een' aus der Hausapotheke nehm', dit kamman sich denn aussuchen, wa? Klaaren oda Kräuter, und neulé hatte Uwe ooch sein' selbstjebrannten dabei jehabt, denn ham wa den natürlé jetrunken. Der hatte 73 %, da blieb keen Auge trocken. Und denn jeht ja erst recht wieder wat daneben beim nächsten Schuß. Is'n Teufelskreis. Tja, wat willste machen, wa?" Die anderen Spieler gesellen sich zu ihm, sie haben Schnapsgläser in der Hand. "Na jut, und nach dem Spiel wird ooch noch mal einer jenommen, ick meine, der Spaß darf ja oh nee zu kurz kommen, wa?" Ich spreche Ingo auf das hohe Durchschnittsalter der Vereinsmitglieder an. „Ja, weeß ick ooch nich, woran dit liegt. Die jungen Leute spielen waascheinlich lieber Computa oda wat weeß ick. Letztens hatten wa eene da, die fand dit janz interessant, aba denn isse nich mehr uffjetaucht,“ „Konnte se waascheinlich nich ab, die janzen schönen Menna hier“, mischt sich Ursel ein und zwinkert mir zu. Heiterkeit in der Runde.
Später, am Abend, treffe ich Bogdan am Computer im Büro. Als jüngstes Mitglied ist der 52jährige Polizist für den Internetauftritt des Vereins verantwortlich. Er starrt auf den Bildschirm. Ab und zu drückt er mit dem Zeigefinger auf eine alte, schwergängige Computermaus. Nur mit großer Mühe schafft er es, die Taste herunterzudrücken. So scheint es jedenfalls. Dabei entsteht jedesmal ein Geräusch, als würde ein Tischtennisball geschlagen. „Willst du auch eine?“, fragt er mich und bietet mir eine Kugel an, die wie Knete aussieht. „Nein danke“, sage ich. Ich kann jetzt sehen, wie Bogdan erfolglos versucht, eine Bilddatei umzubenennen. Bei jedem Versuch öffnet er stattdessen ein Bildprogramm, das sehr lange braucht, um zu laden. „Das ist doch mal wieder …“, hebt er an, er schwitzt. Seine linke Hand greift erneut nach einem Knetkügelchen. „Also, bin gleich fertig …“ Er schiebt sich die Kugel in den Mund und beginnt sehr hastig, zu kauen. „Seit wann essen Sie eigentlich Knete?“, frage ich. „Ach, das gewöhnt man sich so an“, sagt er, „die fühlt sich so gut an in der Hand, das beruhigt. Und dann eines Tages denkt man sich, naja, wenn man die kaut, dann …“ Er bricht ab, wie verbissen schaut er auf den Bildschirm. „Wo habe ich denn jetzt …?“ Er klickt auf der Maus herum, es ist wie ein Kampf zwischen ihm und dem Gerät, wer wird überleben, frage ich mich. Er greift suchend mit der linken Hand in das Tütchen mit der Knete, findet nichts, führt die Tüte als Ganzes zum Mund und leert sie aus. „Ah, jetzt …“ Er kämpft weiter, dann tippt er sehr langsam auf der Tastatur. Zum Schluß schlägt er mit aller Kraft auf die Eingabetaste. „Sa!“ Zufrieden wendet er sich mir zu. „Wie kann ich helfen?“
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@Eugėne Kinflaišaitė: Lassen Sie mich in Ruhe! Zum letzten Mal: Ich war noch nie in Litauen!
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