Sibylle saß mit ihrer Jeans auf dem
blanken Betonboden des Balkons und weinte. Mit ihren Füßen berührte
sie die Balustrade, mit ihrem Rücken lehnte sie an der kalten
Hauswand, über ihr stand das Fenster offen. Sie drückte ihr Gesicht
in ihre Hände und bewegte sich nicht. Kühl wehte die laue
Nachmittagsluft durch die geöffnete Balkontür, die Vorhänge
bewegten sich geräuschlos hin und her.
Man konnte hören, wie die Wohnungstür
zuschlug, es wurden Schlüssel auf einen Tisch geworfen, eine Tasche
wurde abgestellt. „Sibylle, bist du da?“, sagte Jochen mit leiser
Stimme, als er langsam durch das Wohnzimmer Richtung Balkon schritt.
Verwundert über das Offensein der Balkontür ging er zu dieser und schaute, ob Sibylle da war. Er betrat den Balkon sehr langsam, als wolle er nicht gehört werden, er schaute sich um, konnte Sibylle jedoch aufgrund ihres Aufdembodensitzens nicht auf Anhieb sehen. Dann schaute er nach unten und erschrak. „Sibby, was ist denn los? Weinst du etwa, Mausebäckchen?“ Sibylle weinte leise, Jochen bückte sich zu ihr herunter und nahm sie in den Arm, sie klammerte sich an ihm fest. „Was ist denn los? Ist was Schlimmes passiert?“
Verwundert über das Offensein der Balkontür ging er zu dieser und schaute, ob Sibylle da war. Er betrat den Balkon sehr langsam, als wolle er nicht gehört werden, er schaute sich um, konnte Sibylle jedoch aufgrund ihres Aufdembodensitzens nicht auf Anhieb sehen. Dann schaute er nach unten und erschrak. „Sibby, was ist denn los? Weinst du etwa, Mausebäckchen?“ Sibylle weinte leise, Jochen bückte sich zu ihr herunter und nahm sie in den Arm, sie klammerte sich an ihm fest. „Was ist denn los? Ist was Schlimmes passiert?“
Sibylle krallte sich in Jochens Rücken.
Nach einigen Minuten wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und
schaute auf den Boden. Zuerst sagte sie nichts, doch nachdem Jochen
erneut nachgefragt hatte, begann sie mit leiser Stimme zu sprechen.
„Jochen, es ist so schrecklich. Ich
weiß nicht, was ich tun soll! Es ist alles so schrecklich!“
Sibylle versagte immer wieder die Stimme, wenn sie versuchte, sich zu
artikulieren. Sie zog ihre Nase hoch und starrte auf den Boden, ihr
Blick wirkte leer und zugleich von tausend Gedanken angefüllt.
„Mausebäckchen, was ist denn so
schreckliches passiert? Du jagst mir gerade einen richtigen Schrecken
ein, weißt du das?“ Sibylle starrte noch immer auf den Boden,
jetzt schüttelte sie ganz sachte ihren Kopf, dann hob sie diesen und
sprach das erste mal direkt zu Jochen.
„Unser Sohn ist ein Monster“, sagte
Sibylle, ohne das ihr Gesicht Anstalten machte, irgendeine Emotion
preis zu geben. Sie schaute eindringlich in Jochens Augen und
wiederholte den Satz „Unser Sohn ist ein Monster.“ Jochen war der
lange Blickkontakt unangenehm, er musste wegschauen und tat so, als
würde er lachen müssen. „Ich weiß doch, daß unser Sohn ein
Monster ist, er kommt halt ganz nach seinem Vater.“ Jochen grinste,
doch seine Freude verschwand ziemlich rasch, nachdem er sah, daß
Sibylle wieder weinte.
„Sibby, was ist denn jetzt wirklich
los?“, sagte Jochen mit inzwischen ernsterer Stimme, „unser Sohn
ist ein Monster? Wie meinst du das?“ Sibylle nahm sich von dem
kleinen Tischchen, das neben ihr stand, die Zigarettenpackung und
friemelte sich vorsichtig eine Zigarette heraus. Diese zündete sie
sich an, zog kräftig an ihr und schaute in den Himmel, in dem die
Nebelkrähen ihren nachmittäglichen Tanz aufführten. Sie hatte sich
etwas beruhigt. „Heute war doch Elternsprechtag“, sagte Sibylle
mit leiser und zittriger Stimme, bevor sie wieder an ihrer Zigarette
zog. Jochen fasste sich an die Stirn. „Stimmt ja, das habe ich ja
völlig vergessen.“
Sibylle redete weiter, doch ihr
versagte immer wieder die Stimme. „Ich stand da bestimmt 'ne halbe
Stunde vor dem Klassenraum von Linus, bis mich Frau Gadom rein geholt
hat. Die hat schon so ernst geguckt, daß ich Angst bekommen hab. Sie
hat sich so auf das Lehrerpult gelehnt, während ich so vor ihr saß.
Ich kam mir ganz klein vor, obwohl ich gar nicht wusste, warum.“
Jochen schaute inzwischen sehr ernst, mit seinen Händen spielte er
mit einem Stück Holz rum, das er vom Balkonboden aufgehoben hatte.
„Und dann hat Frau Gadom erstmal
gesagt, daß Linus überall gut bis sehr gut ist, was mich natürlich
erleichtert hat.“ Sibylle zog nervös an ihrer Zigarette. Sie
erzählte weiter, schaute aber kein mal zu Jochen, sie sprach die
ganze Zeit zur Balustrade. An der Art, wie Sibylle die Zigarette
hielt, konnte man sehen, das sie schon lange Raucherin sein musste.
Sie aschte in den kleinen Aschenbecher auf dem Tischchen ab und
erzählte weiter. „Natürlich war das meine einzige Sorge, daß
Linus schlecht in Mathe oder Englisch ist. Aber da ist er inzwischen
richtig gut. Trotzdem hat Frau Gadom sehr bedrückt ausgesehen. Ich
habe sie gefragt, was denn nun noch sei, wenn er doch gut in der
Schule ist. Frau Gadom hat sich dann hingesetzt und gesagt, dass
Linus ein großes Problem mit seinem sozialen Verhalten hätte. Sie
sprach ganz schnell und hat gefragt, ob bei uns zuhause alles in
Ordnung ist. Ich habe natürlich „ja“ gesagt, ist doch auch so.“
Sibylle zündete sich eine neue Zigarette an. Auch Jochen nahm sich
eine aus der Packung und zündete sie sich an.
Inzwischen klang Sibylles Stimme fast
wieder normal, doch man hörte ihr dennoch an, dass sie sehr
erschüttert war.
„Frau Gadom hat dann einen Zettel aus
einem Hefter geholt und ihn vor sich gelegt. Dann meinte sie, sie
hätte mal aufgeschrieben, was Linus die letzten zwei Wochen für
'sozial abnorme' Sachen gemacht hat. Ich war in dem Moment so sauer,
weil diese Kuh unsern Linobär doch wirklich als 'sozial abnorm'
bezeichnet hat, hab aber nichts gesagt. Also, Frau Gadom hat dann
angefangen vorzutragen, was da bei ihr auf dem Zettel stand. Am
Montag vorletzte Woche hat Linus wohl in den Eimer mit dem Wasser für
den Tafelschwamm gepullert.“ Jochen musste lachen, „Das ist mein
Linus, ganz nach seinem Vater, immer schön gegen den Strich
gebürstet sein!“
„Jochen, hör mal auf, das ist
wirklich nicht lustig. Warum macht denn unser kleiner Linobär so
was? Hast du ihm das denn mal vorgemacht?“
Na klar, ich puller' regelmäßig in
Eimer. Natürlich nicht! Ich habe keine Ahnung, warum er so was
macht. Das ist doch eher deine Larifari-Erziehung mit 'du musst nicht
aufessen, was du auf dem Teller hast'.“
Inzwischen hatte sich Sibylle die
dritte Zigarette angesteckt. „Lass uns nicht streiten, Jochen, es
geht jetzt nur um Linus, nicht um uns. Er hat ernsthafte Probleme.“
„Ja, okay“, sagte Jochen etwas
beleidigt klingend. Im Hof, zu dem der Balkon rausging, spielten
Kinder mit einem Ball. Sibylle war inzwischen aufgestanden und hielt
sich mit der linken Hand am Geländer des Balkons fest, betrachtend,
wie die Kindern spielten. „Die da unten sind bestimmt normal alle.
Nicht wie unser Linus. Die spielen einfach mit 'nem Ball, wie normale
Kinder das eben machen.“ Sibylle ging zu Jochen und setzte sich
neben ihn. „Frau Gadom hat dann gesagt, dass Linus am Mittwoch …
ich kann das kaum aussprechen … Linus hat in der großen Pause …“,
Sibylle schluckte laut und erzählte dann weiter, Jochen war sehr
angespannt, „ …Linus hat auf dem Schulhof eine kleine Amsel
gefunden, die wahrscheinlich aus dem Nest gefallen ist oder so und
mit in den Klassenraum genommen. Da hat er sie dann … während des
Musikunterrichts … totgemacht und Nele in's Gesicht gedrückt.“
Jochen hielt sich die Hände vor den Mund und starrte auf den Boden,
Sibylle begann erneut zu weinen. Der Wind frischte auf, die Balkontür
bewegte sich langsam Richtung Türrahmen. Jochen starrte vor sich hin
und bewegte seinen Kopf langsam von links nach rechts und wieder
zurück. Sybille war außer sich. „Wer macht denn so was? Unser
Linus tötet einen kleinen, hilflosen Vogel und steckt den dann auch
noch einem anderen Kind in's Gesicht. Ich habe richtig Ekel vor
Linus.“ Jochen nickte. „Der ist wirklich krank … aber warum
haben die Lehrer uns da noch nichts von erzählt bisher?“
„Ich weiß es nicht … Nele hat ganz
furchtbar geweint und ist für drei Tage nicht in die Schule
gekommen.“ Jochen stand hektisch auf und ging zur anderen Seite
des Balkons. „Hat er sich wenigstens entschuldigt bei dem armen
Mädchen? Wir müssen uns unbedingt bei den Eltern entschuldigen.“
Sibylle schaute in den Himmel. „Nein, er hat sich nicht
entschuldigt. Er hat sogar angeblich zu Nele gesagt, dass er ihr das
nächste mal einen toten Hundewelpen in's Gesicht drücken will.“
Jochen verlor die Fassung. „Wie bitte? Einen toten Hundewelpen? Das
ist ja krank, wirklich, das ist krank! Ich fasse es nicht! Was haben
wir falsch gemacht, Mausebäckchen? Was haben wir falsch ge-macht?
Wenn ich den in die Finger bekomme, dann knall ich dem eine, daß er
sich wünscht … ach was, ich weiß nicht, was er sich dann wünscht,
wahrscheinlich daß ich ihn halt nicht so doll schlage!“
„Jochen, hör auf damit, das ist
genau der falsche Weg! Was er jetzt braucht, ist noch viel mehr
Liebe, als wir ihm wohl bisher gegeben haben. Wir müssen uns ganz
intensiv um ihn kümmern. Das ist ein stummer Hilfeschrei, weißt
du?“ Jochen schüttelte mit dem Kopf, „'stummer Hilfeschrei'? So
ein Unsinn. Der ist einfach ein kleiner Sadist, der gerne Tiere tötet
und andere Kinder quält. Und das ist krank. Extrem krank!“
Auf einmal schrie Sibylle so laut auf,
daß die spielenden Kinder im Hof aufschreckten, dann aber wieder
vergnügt den Ball hin und her rollten. Sibylle bekam einen
Heulkrampf, „hör auf damit, Jochen, hör endlich auf, unseren
Linobär als krank zu bezeichnen!“ Sibylle schlug mit ihren Fäusten
aggressiv auf Jochens Oberkörper ein, er nahm sie in die Arme, bis
sie sich nach einiger Zeit beruhigte. „Du hast recht,
Mausebäckchen, das kam nur alles so plötzlich. Du hast ja Recht,
wir müssen mit ihm darüber reden.“ Jochen setzte sich hin,
Sibylle hievte er auf seinen Schoß. „Hat er denn noch irgendwas
angestellt oder ist das erst mal alles?“
Sibylle traute sich kaum zu erzählen,
was Frau Gadom ihr noch gesagt hat, wo Jochen doch nun eingesehen
hat, dass Linus nicht krank sei.
„Naja, also heute hat Linus auf dem
Schulhof … also er hat … also …“, Jochen unterbrach Sibylles
ängstlichen Sprachgebrauch, „ach Mausebäckchen, nun sag schon,
schlimmer als das, was er bisher gemacht hat, kann es doch nicht
sein.“
Sybille fasste sich ins Gesicht und
wischte die Tränen weg, „also Linus hat heute, kurz vor dem
Elternsprechtag, auf dem Schulhof mit Kieselsteinen nach anderen
Kindern geworfen, dabei hat er immer 'Achtung, fliegende Steine'
gerufen … und Phillipp hat einen Kieselstein mit voller Wucht …
also … in das rechte Auge bekommen.“ Sibylle machte eine längere
Redepause, bis sie folgenden Satz mit einer extrem zittrigen Stimme
sagte. „Phillipp ist jetzt im Krankenhaus und wird mit dem Auge
wahrscheinlich nicht mehr sehen können.“ Jochen starrte durch das
Fenster in die Wohnung. „...Krank...“, sagte Jochen leise aber
bestimmt, „...doch krank, ich wusste es. Ein krankes, kleines
Arschloch. Und wieso wurden wir dann heute nicht sofort in die Schule
gerufen von der Schulleiterin? In so einem Fall werden doch die
Eltern sofort benachrichtigt.“
Sibylle sprach jetzt, als sei ihr alles
egal. „Man hat auch die Eltern angerufen, aber halt nicht uns,
sondern die von Jannick, weil alle dachten, dass Jannick die Steine
geworfen hätte. Erst nachdem Jannicks Eltern gekommen waren, hat
sich die ganze Klasse verbündet und gesagt, daß es Linus war. Er
hat das auch zugegeben und hat dann gesagt, dass er schlecht gezielt
hätte. Er wollte eigentlich beide Augen treffen und einen 'blinden
Behindi' aus Phillipp machen. Das hat er wirklich gesagt … unser
Linobär."
„Und wo ist Linus jetzt?“
„Im Hort. Ich wollte ihn heute
einfach nicht bei mir in der Nähe haben.“
„Und was machen wir jetzt?“
„Ich weiß es nicht.“
Jochen und Sybille saßen nebeneinander auf dem Balkon und schauten in die tief orange leuchtende Abendsonne. Im Hof hörte man noch immer das Kindergeschrei, die Krähen hatten sich inzwischen beruhigt, es war windstill. Im Prinzip war es ein wunderschöner Spätnachmittag.
Kommentare
unsere Geschichten sind zu einem hohen Prozentsatz jugendfrei. Daher sollten Sie sich vielleicht an die eigene Nase fassen! Wenn Ihre Kinder oft auf "bösen Seiten" sind, haben Sie garantiert was mit der Erziehung falsch gemacht!
bitte haben Sie ein bisschen Respekt vor den hier veröffentlichten Posts. Die Geschichte "Ein Nachmittag" stammt von meinen Großeltern, die diese Geschichte gemeinsam im Luftschutzbunker geschrieben haben, um die fallenden Bomben zu vergessen. Im Original ist die Geschichte in Sütterlin in fünf Dachziegel eingeritzt. Wenn Ilsetraut und Wilhelm-Hasso Fahrenschon wüßten, wie Sie hier kommentieren, dann würden sie sich gar nicht wohlfühlen.
Herzliche Grüße,
Lutz Schmargel
Nieder mit dem Faschismus!
Ich muß mich nicht als Faschisten bezeichnen lassen, ich nicht!
Ich kann Ihnen aber versichern: Mein Mann hat eine weiße Weste. Er hatte diese weiße Weste sogar schon an, als er den Juden die Fensterscheiben eingeschmissen hat. Selbst über seine SS-Uniform hat er immer diese weiße Weste übergestreift.
Herzliche Grüße,
Elisabeth-Rosine Schmargel
der KREM versteht sich als weltoffenes und menschenwürderespektierendes online-Magazin. Bitte hören Sie damit auf, so unreflektiert mit Ihrer Nazi-Vergangenheit umzugehen.
Grüße, Fahrenschon
Denkt hier etwas tatsächlich irgendjemand, dass wir wirklich Lutz und Elisabeth-Rosine Schmargel heißen?? Und dann auch noch erzählen, dass wir ne fragwürdige Nazi-Vergangenheit haben? Wir sind in echt zwei 15-jährige Gymnasiasten, die sich gerade diebisch freuen!!!
Ihr seid schon echt Scheiß-Journalisten beim KREM!!!
Eigentlich ist die Kommentar-Funktion ausschließlich für konstruktive Beiträge, aber diesen kleinen Jux kannn ich eich verzeihen...ich war ja auch mal jung :-)
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