Valdas Miuleras: Zwei Liegen unter Kirschbaum (2010)
„Wir müssen graphischer werden“, beschlossen wir jüngst auf der Redaktionskonferenz. Anlaß genug für mich, mich mit dem Photographie-Ausnahmetalent Valdas Miuleras zu beschäftigen, der in diesem Jahr den Veit-Panda-Preis für sein Bild „Zwei Liegen unter Kirschbaum“ gewann. Die Jury lobte vor allem „die irreale, ja surreale Szenerie einer zivilisationsbezogenen und gleichzeitig unwahrscheinlich einsamen Landschaft, dürstend nach Menschenfüllung. Wollte man allem, was das Bild über die westliche Gesellschaft zu sagen weiß, einen angemessenen Raum geben, das Bild müßte sehr groß sein (mindestens 30 m²).“ So viel zur Lobhudelei der Veit-Panda-Gesellschaft für zeitgenössische Fotografie. Doch wer ist der Mensch hinter dem Foto?
„Wir müssen graphischer werden“, beschlossen wir jüngst auf der Redaktionskonferenz. Anlaß genug für mich, mich mit dem Photographie-Ausnahmetalent Valdas Miuleras zu beschäftigen, der in diesem Jahr den Veit-Panda-Preis für sein Bild „Zwei Liegen unter Kirschbaum“ gewann. Die Jury lobte vor allem „die irreale, ja surreale Szenerie einer zivilisationsbezogenen und gleichzeitig unwahrscheinlich einsamen Landschaft, dürstend nach Menschenfüllung. Wollte man allem, was das Bild über die westliche Gesellschaft zu sagen weiß, einen angemessenen Raum geben, das Bild müßte sehr groß sein (mindestens 30 m²).“ So viel zur Lobhudelei der Veit-Panda-Gesellschaft für zeitgenössische Fotografie. Doch wer ist der Mensch hinter dem Foto?
Valdas Miuleras wurde als
Sohn eines Ladendiebes und einer Ladendetektivin (sie hatten sich bei
der Arbeit kennengelernt) in einem Dorf an der östlichen Grenze der
Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik geboren. Nach ihrer Flucht
in den Westen (Litauens) verlor die Familie ihr Hab und Gut und mußte
nach neuerlicher Flucht nach Westdeutschland jahrelang auf der Straße
leben. Diese Verlusterfahrung prägte Valdas: Er verhungerte fast,
hatte oft schlimme Krankheiten und wurde in der Schule von seinen
Mitschülern systematisch ausgegrenzt. Doch als ob das noch nicht
genug wäre, spielte er schon früh Geige, die er sich selbst aus
einer Gießkanne und Wäscheleine gebaut hatte, und wurde zu einer
Virtuose. Das machte ihn in der Schule natürlich nicht gerade
beliebter. Finanziell ging es bald aufwärts: Durch die
Stehlfähigkeiten des Vaters konnten sie sich einigermaßen über
Wasser halten, ja, die Klaukapazität des Familienoberhauptes
verschaffte ihnen mit der Zeit sogar einen bescheidenen Wohlstand.
Valdas erkaufte sich in der Schule die Liebe seiner Klassenkameraden
und seine erste Beziehung. Von Anfang an war für ihn klar: Er wollte
so enden wie sein Vater. Schon früh begleitete er ihn auf seinen
nächtlichen Streifzügen und wurde ihm mit seinen feinen Gliedmaßen
zu einer unentbehrlichen Hilfe. Ja, er hatte sich in der Unterwelt
bald einen Namen gemacht als „Babyface“. Als sein Vater im
Sterben lag, wollte er ihm schwören, in seine Fußstapfen zu treten.
Doch völlig unvermittelt sagte dieser: „Mein Sohn, mach was
Solides! Werde Fotograf!“ Das war Valdas' heimliche Leidenschaft:
Schon früh nahm er an Fotografie-Wettbewerben teil, seine mit
gestohlenen Nikon-Geräten porträtierten Bilder der Bottroper
Unterwelt ließen ihn bald als Nachwuchshoffnung erscheinen. Nach dem
Tod des Vaters konzentrierte er sich ganz auf das Bildermachen: Er
verkaufte die anderen Fähigkeiten, um noch besser zu werden, und
gewann Wettbewerb um Wettbewerb. Die vorläufige Krönung seiner
Karriere stellt nun der Veit-Panda-Preis dar.
Das Bild selbst, das
ausgezeichnet wurde, ist der Abschluß des „gelben Zyklus“, den
Miuleras mit seinen Portraits von Traktorreifen begann und im letzten
Jahr mit der kontrovers diskutierten Fotoreihe „Diarahmen (ohne
Dia)“ fortsetzte. Blickt man auf das Bild, wird man scheinbar
hineingezogen in einen fremden Kosmos. Zunächst sieht man nur zwei
Liegen unter einem Kirschbaum, wie es ja auch der Titel suggeriert.
Doch wenn man sich darauf einläßt, beginnen sich die Liegen zu
räkeln, als lägen sie selbst auf einer Liege, und man fragt sich:
Wer ist Mensch, wer Liege? Wohnt nicht allen Gegenständen etwas
Menschliches inne? „Ein Effekt, den ich durchaus beabsichtigt habe,
ist quasi die Menschwerdung der Liegen. Nach einer Weile beginnen sie
sich mit mir zu unterhalten, fragen mich, wie spät es ist und ob sie
etwas zu essen bekommen. Genau hier ziehe ich dann die Notbremse und
schreie sie an: Ihr seid nur Liegen, nur Liegen, hört ihr! Ihr habt
mir gar nichts zu sagen!“
Von diesem Fotograf wird
noch zu reden sein.
Kommentare
PS: Tolles Foto, weiter so :)
Kommentar veröffentlichen