Bernd und Wumpe waren die ersten auf der Baustelle. Halb acht war gerade durch, beide frühstückten, die Sonne strahlte in den Rohbau des Kaufhauses. Die unverputzen Wände wie auch all die anderen unzähligen baustellentypischen Dinge rochen stark nach Unfertigkeit. „Es gibt hier noch viel zu tun!“, hätte über dem Szenario stehen können. Wumpe hatte soeben seine Stinkekäsestulle aufgegessen, da ging er vor die noch eingeschweißte Rolltreppe und stellte mit Entsetzen fest, wie häßlich er den gesamten Bau doch fand. Bernd verstand das nicht. Bernd verstand selten etwas.
„Wieso häßlich?“, fragte er.
„Naja, guck dir das doch mal alles
an. Das sieht hier doch total nach Plastikschrott aus“, erwiderte
Wumpe.
„Ein Haus besteht doch nun mal aus sowas. Willst du ein Haus ohne Türen und Fenster bauen? Oh man Wumpe, du bist echt nicht schlau … “
„Ein Haus besteht doch nun mal aus sowas. Willst du ein Haus ohne Türen und Fenster bauen? Oh man Wumpe, du bist echt nicht schlau … “
Wumpe schüttelte mit dem Kopf.
„Natürlich will ich kein Haus ohne
Türen und Fenster bauen. Aber warum muss das alles so häßlich
sein?
„Was meinst du?“, fragte Bernd
verwirrt.
„Naja, häßlich halt. Die Türen und
die Fenster und die ganzen anderen Sachen sind potthäßlich.
Verstehst du das etwa nicht?“
Bernd war völlig von der Rolle.
„Hä? Also … wie, häßlich? Das
sieht doch nun mal alles so aus. Wie soll das denn sonst aussehen?“
Wumpe wurde lauter.
„Anders soll es aussehen, einfach
anders!“
„Hmmmmmmmmmmm ... “, erwiderte Bernd.
Wumpe trat gegen die Rolltreppe
und ging anschließend zu Bernd.
„Mein lieber lieber Bernie“, sagte
Wumpe, „weißt du, was eine Kirche ist?“
Bernd machte sich gerade seine erste
Dose Bier auf, er nickte.
„Klar!“
Wumpe war zufrieden.
„Weißt du auch, wie eine Kirche
aussieht?“
Jetzt schüttelte Bernd vehement mit
dem Kopf.
„Wieso weißt du, was eine Kirche
ist, weißt aber nicht, wie sowas aussieht?“, fragte Wumpe
irritiert.
„Ich weiß nicht“, sagte Bernd.
„Nagut, egal. Es geht auch nicht um
das spezielle Aussehen einer Kirche. Kannst du dir vorstellen, dass
Kirchen überhaupt irgendwie aussehen?
Bernd kniff sein Gesicht zusammen und
schüttelte ein bisschen mit dem Kopf.
„Nicht so wirklich. Was meinst du
denn damit?“
Wumpe atmete erschöpft aus.
„Mensch Bernie, du machst es einem
gar nicht so einfach. Wir haben ja festgestellt, dass es Kirchen
gibt, da kannst du mir jetzt auch nicht widersprechen, nicht wahr.“
Bernd sagte „ja“.
„Und wenn es Kirchen gibt, dann sehen
die auch irgendwie aus. Sonst würde es sie ja nicht geben. Die wären
sonst ja unsichtbar. Kannst du mir folgen, Bernie?
Bernd nickte, aber er sah noch immer
kritisch aus. Das reichte Wumpe aber.
„So. Und jetzt ist es folgendermaßen:
Kirchen oder auch andere Gebäude werden zu bestimmten Zeiten gebaut.
Verstehst du das?“
Bernd nickte, denn mit Zeiten kannte er
sich aus.
„Meinst du sowas wie 'dreiviertel
neun' oder 'halb elf'?“
„So ähnlich“, sagte Wumpe
verständnisvoll. „Ich meine Jahreszahlen. Zum Beispiel 1850 oder
1496.“
Man konnte an Bernds Gesicht erkennen,
dass er wieder nichts verstand.
„Bernie, wann wurdest du geboren?“
„Am 7.2. 1964.“
„Na siehst du, das ist auch 'ne
Jahreszahl, 1964. Also weißt du ja, was das ist.“
Bernd lachte.
„Ach sowas meinst du! Na klar weiß
ich, was das ist.“
„So Bernie, jetzt wird es
komplizierter. In bestimmten Jahren, z.B. 1964, deinem Geburtsjahr,
wurden Häuser gebaut. Und wir wissen ja, wie wir eben gelernt haben,
dass Kirchen Häuser sind. Wir können also festhalten, dass 1964
auch Kirchen gebaut wurden.“
Erstaunlicherweise verstand Bernd das
auf Anhieb.
„Und bestimmte Jahreszahlen bilden
bestimmte Epochen. Zum Beispiel von 1100 bis ungefähr 1500 war die
Gotik. Verstehst du das?“
Bernd hatte sein Bier ausgetrunken und
geschwiegen.
„Das ist auch verdammt kompliziert, das gebe ich zu. Versuchen wir es einfach nochmal anders. Es gibt Zeiträume. Zum Beispiel
1100-1500, was ich eben gesagt hatte. Das ist ein Zeitraum von 400
Jahren. Und alles, was in diesem Zeitraum gebaut wurde, wird als
gotisch bezeichnet.“
Bernd wirkte, als hätte er verstanden.
„So“, sagte Wumpe, „kleiner Test.
Wie nennt man ein Haus, das 1200 gebaut wurde?“
Wie aus der Pistole geschossen rief
Bernd „Gotik!“
„Naja, fast … es nennt sich
„gotisch“
„Jaja“, sagte Benrd leicht genervt.
„Aaaber“, sagte Wumpe mit starker
Gestikulierung, „worauf ich letztendlich hinaus will und warum ich
dir das alles erzähle, ist, dass gotische Häuser und im speziellen
gotische Kirchen schön aussehen. Die sehen viel besser aus, als
unser helbfertiges Kaufhaus hier.
„Wieso?“, fragte Bernd.
„Weil gotische Häuser auf eine ganz
bestimmte Weise aussehen, die sind halt gotisch und das ist viel
schöner“, sagte Wumpe.
„Warum denn?“, fragte Bernd, „Warum
sind Kirchen, die aus Gotik bestehen, schön?
„Halt, nicht falsch verstehen“,
warf Wumpe schnell ein, „Häuser bestehen nicht aus Gotik, Häuser
sind nur gotisch, das ist ein Unterschied.“
„Wenn die Häuser nicht aus Gotik
bestehen, klebt die Gotik dann an denen dran?“, fragte Bernd, als
er sich eine Dose Erdnüsse aufmachte.
„Nein, Gotik klebt auch nicht an
Häusern, sie sind einfach gotisch … wie soll man das denn noch
erklären? Nagut, doch, wenn du es so besser behalten kannst, Gotik
klebt an Häusern und damit sind sie gotisch. Merk dir das so: Haus
zwischen 1100 und 1500 gebaut – es klebt Gotik dran – damit ist
es gotisch.“
Bernd nickte. „Das ist gar nicht so
schwer. Gibt es denn noch so andere Zeiträume, die irgendwie heißen
und an Häusern drankleben?“
Wumpe lachte.
„Ja, den Klassizismus zum Beispiel. An
Häusern, die zwischen 1760 und 1840 gebaut wurden, klebt Klassizismus.
„Das heißt, die sind dann klassizistisch,
wenn Klassizismus dranklebt?“
„Genau“, sagte Wumpe, „genau so
ist es!“
„Und warum hast du mir das nochmal
alles erzählt?“
Wumpe schaute sich im Gebäude um.
„Weil das alles hier häßlich ist und ich mich frage, warum wir
keine Gotik an dieses Kaufhaus kleben können. Das wäre dann alles
viel schöner.“
Wumpe zog die Augenbrauen hoch. „Weil
wir jetzt nicht zwischen 1100 und 1500 haben, sondern weil jetzt 1998
ist. Wahrscheinlich würde die Gotik gar nicht kleben bleiben, das
hast du mir gerade erklärt.“
Wumpe musste lachen. „Du hast recht,
Bernie. Wahrscheinlich würde die Gotik gar nicht kleben bleiben.
Weißt du was, das ist gar nicht so dumm.“
Bernd freute sich.
Die beiden Vollblutbauarbeiter setzten
sich hin und sprachen nun über etwas weniger bedeutungsschweres als
Architekturepochen. Sie holten sich beide ihre letzten Stullen aus
ihren Rucksäcken und bissen beherzt hinein. Doch dann geschah etwas,
womit keiner der beiden gerechnet hatte. Eine kleine, maximal einen
Meter hohe gotische Kirche kam auf die Baustelle gerannt. Sie hatte
Beine wie ein kleiner Hund, ein erstaunlich schönes Gesicht an der
Frontseite, natürlich auch einen Turm und bestand, was vermuten
lässt, dass sie sich der märkischen Backsteingotik des 13.
Jahrhunderts zuordnen lässt, komplett aus roten Ziegeln. Sie blieb
vor den beiden stehen und kauerte sich auf den Boden. Wumpe und Bernd
wussten nicht, was sie machen sollten, sie waren verdutzt.
„Bernie, genau so sehen gotischen
Kirchen aus.“
„Ach“, entgegnete Bernd.
Die Kirche schnaufte und schnuffelte an
den beiden und lief im Kreis herum, bei ihren hektischen Bewegungen
fielen immer wieder einzelne Ziegel hinunter!
Kommentare
Sollten Sie nicht wichtigere Dinge zu tun haben, als beim KREM zu kommentieren?
Grüße nach Rom
rsf
Mehrfach habe ich Sie schon darauf hingewiesen, daß Sie beim Verfassen Ihrer Kommentare bitte die deutsche Sprache wählen, da der Durchschnittsleser des KREMs gerade mal seine Muttersprache beherrscht und auch das nur mit größten Problemen.
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