„Immer der, der fragt“ – Mit diesen Worten wurde ich angewiesen, einen Nachruf auf Wilhelm Brannt zu verfassen. Es war am 21. September, da ich in der Kommentarsektion des KREMs danach fragte, wer für Wilhelm Brannt die posthume Ehrung schreiben möchte. Christoph Teusche, unser Chefredakteur, hat schließlich mich angewiesen, dies zu tun – „Immer der, der fragt“. Leider kenne ich Wilhelm Brannt nicht, ich habe ihn nur ein einziges Mal flüchtig gesehen. Es war im Sommer 2015, damals zog er sich ein Bifi an unserem Snack-Automaten. Ich grüßte ihn herzlich, er grüßte nicht zurück. Das ist alles, was uns verbindet.
Aufgrund dieses einen Treffens habe ich mein Urteil über ihn gebildet – ich mag ihn nicht. Deshalb tut es mir umso mehr leid, dass gerade ich den Nachruf schreiben soll. Wäre nicht Christoph der deutlich geeignetere Verfasser? Er hat mit Wilhelm Brannt insgesamt fünf Kur-Urlaube im Harz verbracht. Er könnte ihn wirklich würdigen, er kennt ihn. Ich habe über diesen wahrscheinlich interessanten Mann nichts zu sagen. Das ist sie, die nicht nachvollziehbare Art, mit der Christoph Teusche seine Redakteure demütigt.
Unser Chef hat Macht und er nutzt sie! Es sind genau diese perfiden Spielchen, die jeden Tag von neuem beginnen. „Justus, Sie sehen heute Morgen Klasse aus!“, heißt es, während die verzerrte Fratze des Chefs den Gang langschlurft. „Justus, haben Sie schon die Artikel lektoriert?“ grunzt der lachende Christoph Teusche einem entgegen, während er sein siebentes Knoppers verschlingt. Niemand in der Redaktion stellt sich ihm entgegen. Rüdiger Fahrenschon, der blasse Vize, gerät ihm wieder mit ihm aneinander. Doch diese kleinen Streitigkeiten verpuffen einfach. Die Macht von Christoph Teusche scheint ein Naturgesetz zu sein. Und das weiß er ganz genau. Er gefällt sich selbst am besten, wenn er wieder einmal mit seiner schmierigen und zugleich dümmlichen Art für Ekel sorgt und alle sich schämen. Etwa wenn wir im Redaktionsraum an unseren PCs sitzen und er am Türrahmen lehnend popelt. Er wischt dabei auf seinem Smartphone rum, schaut gelegentlich mit seinem leeren Blick durch den Raum und zieht aus seiner Nase feuchte Fäden, als wäre er alleine. Alle starren peinlich berührt auf ihren Bildschirm und warten, dass die Situation vorübergeht. Doch unser Chef genießt genau diese Augenblicke. Er macht weiter und weiter und irgendwann, wahrscheinlich wenn er meint, wir hätten es verstanden (was auch immer man daran verstehen soll), dreht er sich um und geht wortlos.
Es sind aber auch diese schrecklichen Verbrüderungen, die unseren Chef so unerträglich machen. Wenn im Lektorat der Reportagen der ein oder andere Fehler auftaucht und ich mit dem verantwortlichen Autor spreche, kommt Christoph wie aus dem nichts, legt seinen Arm auf meine Schulter und wiederholt meine Sätze. Dabei nickt er, schaut abwechselnd zu meinem Gesprächspartner und mir und fängt wieder an zu popeln. Ich will nicht vulgär klingen, ich will meinen Chef auch nicht demütigen, doch wenn ich Kritik an ihm äußere, dann muss ich sein vulgäres Verhalten ansprechen. Er hat dieses Terrorinstrument des offensiven Ekelig-Seins perfektioniert. Er kann die gesamte Redaktion damit ständig unter Druck setzen. Mit seinen Fingern in der Nase dirigiert er uns, allein mit seiner Anwesenheit kann er das Arbeitsklima so verändern, wie er es haben will. Sein plötzliches Hinter-einem-Stehen, sein matschiges Kaugummikauen, sein ständiges Summen von Werbe-Jingles, seine Selbstgespräche mit verstellten Stimmen, sein zu lautes Lachen, all das verursacht Bauchschmerzen und Wut. Er tut so, als bekäme er nicht mit, dass wir es nicht mehr aushalten. Dass er es aber weiß, macht es gerade so unerträglich. Was bezweckt unser Chefredakteur damit? Will er nur seine Spielchen spielen? Will er seine Macht über andere spüren? Ist seine dauerhafte Selbstentblößung sein Mittel zur Selbstbestätigung? Falls das wirklich seine Motivation sein sollte, dann frage ich mich, ob er sich noch selbst ertragen kann. Kann mein Chef noch in den Spiegel schauen, ohne sich selbst zu ekeln? Hasst er sich?
„Immer der, der fragt“ – Sprüche wie dieser sind Puzzleteile, die, wenn man sie alle zusammensetzt, das Bild eines aufgeschwollenen Magengeschwürs ergeben. Vielleicht ist Wilhelm Brannt vor unserem Chef geflohen. Vielleicht hat er es als erster nicht mehr ertragen. Was auch immer der Grund für seinen Tod ist (ich kenne diesen Mann wie gesagt nicht), wir, die Redaktion, werden weitermachen und die Spielchen unseres Chefredakteurs auch zukünftig erdulden. Unsere einzige Hoffnung bleibt, dass Christoph Teusche eines Tages in den Spiegel blickt und diesen Gedanken hat: „Ich will mich nicht mehr selbst demütigen.“
Nachtrag: Christoph hatte mir, nachdem ich für den Nachruf ausgewählt wurde, mitgeteilt, dass ich meinen Artikel unter das bescheuerte Motto „Heute sind wir alle Wilhelm Brannt – heute sind wir alle tot“ stellen möge. Dass er dabei gekichert und zwei Knoppers gleichzeitig gegessen hat, muss ich wahrscheinlich nicht dazusagen.
Kommentare
Wenn Sie wissen wollen, lieber Justus, wie Wilhelm gestorben ist, dann schreiben Sie noch mal so einen Artikel.
Aber nicht bei uns. Sie sind hier nicht mehr beschäftigt.
Und Rüdiger, du hast den stellv. Chefredakteur auch nicht geerbt! Vielleicht wird ja bald noch eine Stelle frei ...
Bitte sie geben mir kontakt Daten fur gestzlich.
danke schon
Und nochmal zu Wilhelm: Ich war gerade bei ihm, er ist putzmunter, hat aber keine Lust mehr, für uns zu schreiben. Wen hast du also sterben sehen, Christoph?
Gruß, von Leuschwitz (Generalkonsul a.D.)
Wegen Wilhelm Brannt schlage ich vor, daß wir einen Historiker beauftragen, der das klärt.
Okay?
Zu Wilhelm Brannt noch ein Kommentar: Es gibt hier einige in der Firma (ihn eingeschlossen), die noch nie gesehen habe. Wer ist zum Beispiel Gerhart Ruska? Angeblich macht der hier die Anzeigen, aber ich habe ihn noch nie gesehen, und Anzeigen haben wir auch keine. Komisch, oder?
Tja, also Gerhart Ruska habe ich auch noch nie gesehen, ich weiß nur, dass wir dem monatlich mindestens 4500 € plus Spesen zahlen bzw., er hat eine Einzugsermächtigung. Ich glaube sogar, dass er sich beliebig viel von unserem Konto abbuchen kann. Sollte man das ändern, Jochen?
Einen Historiker zu beauftragen, finde ich super. Christoph, wusstest Du, dass Justus einen Magister in Geschichtswissenschaft hat? Der könnte das doch machen. Da würde aber gleich ein höheres Gehalt fällig, oder? Beredet das man miteinander am besten hier in der Kommentarsektion.
Zu den Vorwürfen: Einige sind einfach absolut geschmacklos und wahnsinnig übertrieben, das würde ich unter "künstlerische Freiheit" subsumieren. Es stimmt aber, daß ich manchmal sehr lange irgendwo stehe und dann erst (zu) spät weggehe. Ich habe leider einen chronischen Schlaganfall, also permanent einen (ganz leichten) Schlaganfall. Es kann sein, daß ich manchmal auch andere Körperteile deswegen nicht unter Kontrolle habe. Inhaltlich bin ich aber, denke ich, ein sehr netter Chef, nie aufbrausend, nie unfair.
Ich kenne ich der Tat einen ganz guten Historiker, Dr. Justitianus Pusselteigk. Er erforscht auftragsmäßig Firmengeschichten. Zuletzt hat er sich an die Geschichte vom Blumengeschäft Wirschnitzky in Potsdam gemacht. Dabei hat er Dinge herausgefunden, die zum Bankrott der Firma sowie der Auslieferung der Geschäftsführer nach Estland geführt haben. Man muss aber auch dazu sagen, dass Pusselteigk viel mit Fiktion arbeitet. Da können zugunsten der Fakten schon mal "etwas bessere, nicht wahre Fakten" treten, so seine Selbstbeschreibung im Internet.
Er könnte also wahrscheinlich recht effektiv die Vita von Wilhelm Brannt erforschen.
Aber sieh' am besten selbst, hier der Link zu seiner Website: pusselteigk-Histor.Forschu.de
Ich denke mal, ich habe aus dieser "Affäre" auch etwas gelernt. Ich denke, ich sollte mich zukünftig "menschlicher" verhalten und noch "präsenter" sein. Meint ihr nicht auch?
Ansonsten würde ich dir dringend davon abraten, dich "menschlicher" zu verhalten oder "präsenter" zu sein. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn du noch häufiger im Urlaub wärst und dich ein Stück weit entmenschlichst, also eher gegenstandsartig verhälst. Wenn die Mitarbeiter dich gar nicht mehr erkennen, würde die permanent gereizte Stimmung in der Redaktion sicher etwas entspannt werden.
Übrigens: Justus, Aygül, Hanka und ich gehen heute in den Zoo, hast du Lust mitzukommen?
Schade, jetzt hat der Zoo geschlossen.
Steht ihr immer noch vor mir?
Bist du dann Läppin? Also hast du einen läppischen Migrationshintergrund?
Du musst sie Dir nur wie gesagt abholen.
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