„Lebenserfahrung“
sehr an den Biographien und persönlichen Eigenheiten der Verfasser
ausgelassen, selbst wenn schon das Verfasste selbst Grund genug bot,
es abzulehnen. Ich möchte mich folglich wieder etwas mehr dem Werk
widmen und von der Person weggehen. Das heißt freilich nicht, dass
der Lebens- und Schaffensgeschichte des Künstlers nicht auch ein
paar Worte zugedacht werden (müssen).
Diesmal will ich den neu erschienenen
autobiographischen Roman „Wildes Holz“ von Merten Kramer
vorstellen, der bei Völlers & Dekow erschienen ist. Merten
Kramer, eigentlich gelernter Buchhalter, kam erst spät zur
Schriftstellerei, die er nach eigenem Bekunden „in der Schule des
Lebens“ gelernt hat. Dennoch fand sein Debütroman „Zahlen“ im
Jahr 2007 viel Beachtung in den Feuilletons. Zwar geht er etwas zu
ausführlich auf den von der im Mittelpunkt der Handlung stehenden
Firma „DataBasic“ vorgestellten Rechenschaftsbericht ein, diese
Schwäche wird aber dadurch wieder wettgemacht, dass er mit kurzen,
geistreichen Sätzen das Ganze wieder einfängt und auf den Punkt
bringt. Seine weiteren Bücher blieben dann hinter den –
zugegebenermaßen hohen – Erwartungen zurück. Nun also die
Autobiographie, von vielen Schreiber*innen als letzter Rettungsanker
gesehen, als Mittel, das Ruder noch einmal rumzureißen. Wer
interessiert sich nicht für eine Geschichte über einen Menschen,
einen prominenten noch dazu? Eleanor Roosevelt wird folgendes Zitat
zugeschrieben: „Great minds discuss ideas, average minds
discuss events, small minds discuss people.“ Gleich im
Vorwort beeilt sich der Autor, zu erwähnen, dass der Roman eben nur
„autobiographische Züge“ trägt. Nun gut. Das könnte eine
spannungsreiche Idee sein, wenn man sich immerzu fragt, welche der
geschilderten Episoden der Schriftsteller nun selbst erlebt hat und
welche nicht. Um es vorweg zu nehmen: Die Vorfreude wird enttäuscht.
Es sind nicht mal die wenig dezenten Hinweise am Anfang eines
Kapitels, die den Spaß verderben – z.B. in Kapitel 18: „Diese
Geschichte hat sich wirklich genau so zugetragen!“ - oder in
Kapitel 23: „Leider ist folgendes Ereignis nie geschehen!“
Schlimmer ist, wie ereignisarm sich Kramers Leben offenbar darstellt.
Jedenfalls nutzt er jede sich bietende Gelegenheit, um zu langweilen.
Besonders schlimm sind ausführlichste Beschreibungen seiner
Umgebung: „An diesem Teppich kannte ich jedes Detail: Er bestand
aus 236 15x15 cm großen Flicken in den Farben rot (60-mal), gelb
(60-mal), blau (59-mal) und grün (57-mal). Das von der Tür her
dritte Quadrat von links in der siebten Reihe von oben wies einen
schwarzen Fleck auf; in der vierten Reihe stieß man bei Quadrat
Nummer acht hingegen eine kreisförmige Ausbleichung.“ (Kapitel 4).
Wer jetzt erwartet, eine interessante Geschichte zu diesen Artefakten
zu erfahren, wird bitter enttäuscht: „Keine Ahnung, woher diese
Verfärbungen kamen. Ich glaube, der Teppich wurde schon so
geliefert, aber dann haben wir ihn erst ausgepackt, als die
Umtauschfrist abgelaufen war. Ja, ich glaube, so war es.“ Anderes
Beispiel gefällig? Nein? Pech gehabt: „Ich schloss in einem
Schwung die Tür auf. Nach einem Mal Drehen öffnete sie sich –
dabei war ich sicher, sie morgens zweimal abgeschlossen zu haben.
Beim Betreten der Wohnung bemerkte ich eine abgenutzte Stelle an der
Türschwelle. Ich hätte schwören können, dass sie heute morgen
noch nicht da war.“ (Kap. 16) Und – sind Einbrecher in der
Wohnung oder was? „Hm. Ich konnte es mir nicht erklären.
Vielleicht war die Abnutzung einfach durch das häufige Betreten der
Schwelle entstanden. Man guckt ja auch nicht immer jeden Tag nach, ob
sich auf der Stelle eine abgenutzte Schwelle befindet.“ Hier ist
wirklich alles Murks. Das Schildern ins Nichts führender
Gedankengänge inkl. Interjektion, gepaart mit dem unpersönlichen
„man“ - das ist pure Folter! Da lobe ich mir noch Niklas Rohde,
der in seinen „Abhandlungen über einen Vagabunden“ zwar auch
langatmig wird, aber wenigstens keine Banalitäten erzählt: „Die
Windmühle sah aus wie gemalt. Sie stand auf einem Feld, auf dem
teils Raps, teils Mais angebaut wurde. Zwei Bewässerungsgräben
zogen sich durch die Landschaft. Sie entwässerten in die Schleyer,
die drei Kilometer nordwärts floss. Am Himmel zogen Cumullus- und
Stratocirruswolken dahin, und zwei Rehe und drei Feldhasen
vervollständigten das Bild.“ Sehen Sie den Unterschied? Das eine
nervt, das andere nervt auch, aber mit Charme.
Kommentare
Und ma kurz ne Frage zu Wilhelm Brannt: Lebt der jetzt noch? ODER NICHT?
Ich hätte, wie mein Vorredner auch, noch eine weitere Frage: Herr Dr. Mieroth, Sie haben ja bei Ihrer großen Vorstellung darauf hingewiesen, dass Sie sich viel mit Verwaltung und Kunst beschäftigen. Werden Sie zukünftig auch zu diesen Themen Texte veröffentlichen? Vielleicht Ihre Diss. vorstellen? Ich fände es sehr spannend.
Beste Grüße
Simon Möller
vielen Dank für Ihr Interesse an meiner Arbeit!
Beste Grüße
Wisst ihr was, KREM: Ihr habt euch doch an den Zeitstrahl der Geschichte verkauft. Ihr spielt doch auch dieses "heute ist Sonntag, morgen Montag und übermorgen Dienstag"-Spiel mit.
Ich spucke auf euch, ihr dreckigen Uhr-Sklaven!
Wenn Sie uns aber vorwerfen, dass wir als in der Welt vorkommendes Etwas der Seins-Kategorie Zeit unterworfen sind, dann, ja dann: Schuldig im Sinne der Anklage!
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