Liebe KREMesfreunde,
es ist uns eine große Freude, erstmals einen Gastbeitrag veröffentlichen zu dürfen. Es handelt sich um eine Weihnachtsgeschichte von Susjana Bergmann-Zwillich und Ja'akeb Mosche Müller, die auf Erzähltraditionen aus dem Libanon aufbaut. Sie ist in 15 "Fraktionen" unterteilt, denn der libanesische Advent beginnt erst 15 Tage vor Weihnachten (die neun vorhergehenden Tage sind der "Vor-Advent": Die Vor-Vorfreude spielt im libanesischen Volksglauben eine zentrale Rolle). Die Geschichte nutzt die Zahl 15 als Element zum "Rhythmischen Erzählen", das an den Ritt der drei Weisen zur Krippe erinnern soll. Indem gezielt mit traditionellen Mustern gespielt wird, wir der heutigen libanesischen Gesellschaft auch "ein Stück weit" (alle Zitate vom Verfasser) der Spiegel vorgehalten. Wegen ungeahnter Längen ist die Geschichte in drei Teile à 5 Fraktionen unterteilt, die wir Ihnen über Heiligabend und das Christfest präsentieren. Nun aber nichts wie rein ins Lesevergnügen!
Wir wünschen Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, ein gesegnetes Weihnachtsfest
Redaktion DER KREM
Christoph Teusche, Chefredakteur
Rüdiger Fahrenschon, stv. Chefredakteur
Weihnacht, Weihnacht – (1–5)
Die Sonne schien äthiopisch auf die Hütte in Hagere Hiywet. Balthasar lümmelte erschöpft auf einem Schemel. Neben ihm standen die Kumpels Mika, Sisisba (ziegenmilchbekleckert) und Awnison. Seit Stunden versuchten sie, Balthasar zu überzeugen, mal wieder mit auf die Piste zu kommen. Als der weiterhin den Sturkopf mimte, trat die Jungfrau Debre Birhan in die Hütte. In ihren Arm eingehakt schleifte sie einen Greis mit Eselsgesicht hinterher. Sie stotterte. Der Graubart hieße Melchior, rede wirres Zeug, hätte aber Pläne und wolle mit den Jungs losziehen. Balthasar forderte, die Pläne anzuschauen. Der Alte kramte daraufhin einen Papyrusschnipsel hervor und las mir rauer, gebrochener Stimme die schwer verwischten Striche als Ziel vor: ~x,l'( tyBeî. Der Ort solle sich lohnen. Balthasar wollte sofort von dem Alten wissen, ob er es mit einem Amateur zu tun habe. Ob er nichts von Regengüssen und Sandstürmen auf dem Weg gehört habe. Ob er nicht besser seinen Plan auf einen Ledercodex geschrieben hätte, dieser sei wetterfest. Der Alte zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Plan hin, Plan her. Mit so jungen Burschen ist das in 15 Tagen zu schaffen...“
es ist uns eine große Freude, erstmals einen Gastbeitrag veröffentlichen zu dürfen. Es handelt sich um eine Weihnachtsgeschichte von Susjana Bergmann-Zwillich und Ja'akeb Mosche Müller, die auf Erzähltraditionen aus dem Libanon aufbaut. Sie ist in 15 "Fraktionen" unterteilt, denn der libanesische Advent beginnt erst 15 Tage vor Weihnachten (die neun vorhergehenden Tage sind der "Vor-Advent": Die Vor-Vorfreude spielt im libanesischen Volksglauben eine zentrale Rolle). Die Geschichte nutzt die Zahl 15 als Element zum "Rhythmischen Erzählen", das an den Ritt der drei Weisen zur Krippe erinnern soll. Indem gezielt mit traditionellen Mustern gespielt wird, wir der heutigen libanesischen Gesellschaft auch "ein Stück weit" (alle Zitate vom Verfasser) der Spiegel vorgehalten. Wegen ungeahnter Längen ist die Geschichte in drei Teile à 5 Fraktionen unterteilt, die wir Ihnen über Heiligabend und das Christfest präsentieren. Nun aber nichts wie rein ins Lesevergnügen!
Wir wünschen Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, ein gesegnetes Weihnachtsfest
Redaktion DER KREM
Christoph Teusche, Chefredakteur
Rüdiger Fahrenschon, stv. Chefredakteur
Weihnacht, Weihnacht – (1–5)
1
Die Sonne schien äthiopisch auf die Hütte in Hagere Hiywet. Balthasar lümmelte erschöpft auf einem Schemel. Neben ihm standen die Kumpels Mika, Sisisba (ziegenmilchbekleckert) und Awnison. Seit Stunden versuchten sie, Balthasar zu überzeugen, mal wieder mit auf die Piste zu kommen. Als der weiterhin den Sturkopf mimte, trat die Jungfrau Debre Birhan in die Hütte. In ihren Arm eingehakt schleifte sie einen Greis mit Eselsgesicht hinterher. Sie stotterte. Der Graubart hieße Melchior, rede wirres Zeug, hätte aber Pläne und wolle mit den Jungs losziehen. Balthasar forderte, die Pläne anzuschauen. Der Alte kramte daraufhin einen Papyrusschnipsel hervor und las mir rauer, gebrochener Stimme die schwer verwischten Striche als Ziel vor: ~x,l'( tyBeî. Der Ort solle sich lohnen. Balthasar wollte sofort von dem Alten wissen, ob er es mit einem Amateur zu tun habe. Ob er nichts von Regengüssen und Sandstürmen auf dem Weg gehört habe. Ob er nicht besser seinen Plan auf einen Ledercodex geschrieben hätte, dieser sei wetterfest. Der Alte zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Plan hin, Plan her. Mit so jungen Burschen ist das in 15 Tagen zu schaffen...“
2
Heute ist schon der zweite Tag der
Geschichte. Die beiden Kollegen müssten längst ausgezogen sein,
doch in der geräumigen Jurte in Hagere Hiywet war von
Aufbruchsstimmung nichts zu spüren. Stattdessen vergnügte Balthasar
sich mit Debre schon seit vier Stunden hinter einem aufgeschütteten
Wall aus roten Samtkissen. Der Alte war längst eingeschlafen und
störte mit seinem Schnarchen die romantische Zweisamkeit. Da pfiff
plötzlich ein laues Windchen durch die Zeltwände und wehte den
maroden Papyrusschnipsel des Alten heran, den er die Nacht über wie
einen Schatz in seinen Händen trug. Das Papyrus erklomm die
Kissenburg und landete – wie ein Wunder – vor den lüsternen
Augen Balthasars im zarten Decoltee Debres. Diese schrie verstört
auf. – Balthasar aber gehörte zur alten Schule: Für ihn war das
ein Zeichen. Er streifte sich fluchs die traditionelle Shemma aus
weißer Baumwolle von den Plantagen der Ostküste über (der größte
Arbeitgeber in der Region), bestaunte wie jedes Mal die buntbestickte
Bordüre, die seine jüngst verstorbene Mutter mit flinken Fingern
gearbeitet hatte und trat mit einem Fußtritt den Kissenwall nieder.
Die barbusige Debre Birhan fluchte und grub sich dabei beleidigt
zwischen den Kissen ein. Balthasar war mit einem Schritt vor seiner
Hütte, wo Melchior mit den Jungs Mika, Sisisba und Awnison aufgeregt
schnatterte. Die drei waren vom gestrigen Initiationsfest noch
sternhagelvoll und damit absolut reiseuntüchtig. Melchior hingegen
stand bereits aufbruchsbereit in der Morgensonne und wippte
ungeduldig mit der Fußspitze. Es konnte endlich losgehen….
3
„In Ordnung. Ich komme ja mit alter
Mann.“ schnaufte Balthasar. „Aber warum genau soll es nach ~x,l'(
tyBeî gehen?“ Jetzt war der Alte ganz in seinem Element. Er
erzählte von Sternen, Mondbahnen und schnuppenähnlichen
Himmelskörpern. In 13 Tagen müsse nach seinen Berechnungen und
heimischen Experimenten etwas besonderes in ~x,l'( tyBeî geschehen.
Er wisse nicht was, aber verpassen sollte man es auf keinem Fall. „In
13 Tagen?“ fragt Balthasar. „Hast Du nicht gesagt, wir könnten
in 15 Tagen dort sein?“. „Nun“ antwortete Graubart Melchior,
immer noch mit der Fußspitze wippend „um so mehr ist Eile
geboten..“. „Jetzt wird die Sache spannend“ begriff Balthasar
und sofort drückte er seinen Freunden Stöcke in die Hände und
mahnte zum Aufbruch. Debre rief noch aus der Hütte, dass, wo sie
nicht gut aufgenommen würden, sie den Staub von den Füßen
schütteln sollten. Balthasar antwortete der kürzlich Entjungferten
flüchtig mit „ja,ja..“ und schon war der lustige Trupp um die
Ecke verschwunden. Als sie die Kleinstadt Hiywet verlassen hatten,
schlug Melchior den Nordweg vor, doch Awnison hatte Einwände.
Unverständliches Zeug brabbelte, der immer noch restalkoholisierte,
von einem Brunnen mit Giftfunden und Ziegenmilch. Mika zeriss sofort
seinen Mantel und teilte ihn in Stücke ein. Dann zeichnete er mit
seinem Stock eine Linie zwischen die Stücke in den Sand und erklärte
diese als Wegroute. Balthasar war genervt „Du bist kein Prophet
Mika und bei allem Elan, Du wirst niemals einer sein.“ Nun äußerte
sich auch Sisisba, der eben noch Wasser lassen musste. „Wir gehen
immer der Nase nach, das hat schon mein Großvater immer gemacht und
schaut mich an, ich lebe!“. Das klang überzeugend und so gingen
sie den Pfad nach Westen. An toten Bäumen vorbei kamen sie in eine
hüglige Gegend mit großen Steinbrocken links und rechts. Die Sonne
brannte immer äthiopischer. Awnison keuchte und verlangte nach
Pause, doch der Blick Balthasars verriet, dass er im Traum nicht
daran dachte anzuhalten.
4
Auf Schusters Rappen nun passierten die
Fünf eine Ebene und gelangten in Kürze durch das Städtchen Addis
Abeba. Der Weg führte sie sogleich weiter in die Gegend um Debre
Birhan. Wie seltsam, dass dieser Landstrich denselben Namen trug, wie
Balthasars junge Geliebte aus den Kissenbergen… Als sie gerade noch
darüber berieten, auf welche Weise sie das große Wasser, das sich
spätestens morgen vor ihnen auftun sollte, überqueren könnten,
erschien am Wegesrand ein schmächtiger Bursche so um die Dreißig.
Vor sich hielt er einen Bauchladen mit der Aufschrift
„Prima-Fingernagel-Kosmetik“. Hier unter der äthiopischen Sonne
harrte er der Kundschaft, die ihm versprochen wurde, als die
Marktschreier Debre Birhans ihn aus ihrem Örtchen vertrieben.
Kaspar, so war sein Name, war jedoch viel zu gutmütig, um seinen
Widersachern Böswilligkeit zu unterstellen. So lief er die staubigen
Straßen hinab und hinauf und hoffte stets, seine Kosmetikartikel
lohnend unter den modebewussten Mann, die elegante Frau zu bringen.
Leider war ihm in den vergangenen Wochen außerhalb des Städtchens
niemand mehr begegnet. Nun erschienen ihm die fünf Kollegen wie der
verdiente Lohn seines geduldigen Wartens. Schüchtern und doch
bestimmt unterbrach Kaspar die inzwischen hitzig geführte Debatte
der Männer mit auswendig gelernten schlechten Reimen, die man ihm
jüngst auf der Gewerbeschule beigebracht hatte: „Ist der Nagel
doch so spröde, gibt es Rat in Wüsten-Öde.“ „Weihrauch, Myrre,
Balsam – Schönheit wern se bald ham!“ Erst jetzt unterbrachen
die Fünf ihren Streit und wurden auf den unbeholfenen Knaben
aufmerksam. Melchior, altersweise, wandte sich ihm zu und wackelte
gütig mit seinen Eselsohren.
5
„Nun gut Jungchen“ sprach er den
zipfelmützigen Kleinwarenhändler an. „Bei ner anständigen Partie
Mancala könnten wir etwas von Deinem Weihrauch schon gebrauchen. Wir
wollen die ganze Nacht hindurch weiterziehen. Wir haben es eilig. Ich
denke eine Pause, eine Partie Mancala und eine gute Prise Weihrauch
halten uns wach.“ „Klar doch“ quiekte Kaspar „dreifuffzich
der Zentner“. Sisisba hatte noch während der Unterhaltung eine
nahestehende Ziege entdeckt und hing schon saugend an den Zitzen.
Bekleckert kam er wieder und fragte Kaspar ob er seinen Krempel nicht
Krempel sein lassen will und mitkommen möchte. Der Hintergrund für
diese Meinung war „je mehr wir sind, desto mehr Spaß macht es“.
Also bestiegen sie zu sechst den Rappen und ritten unter dem
bäuchlings liegenden Halbmond in die Nordnacht. Kaspar hatte noch
einen Beutel mit Waren dabei, von denen er sich nicht trennen konnte.
Ohne seine Waren war er nichts. Fest an den Beutel geklammert fiel er
in einen festen Schlaf. Im Traum erschien ihm eine rasierte – man
sagt entfederte – ursprünglich weiße Gans. Sie nagte schnatternd
an seiner Nase. Kaspar war ganz verzückt. Gerade hob er mit „meene
Kleene“ zu einem Liebesgeständnis an, als er unsanft durch einen
heftigen Schlag in den Nacken geweckt wurde. Über ihm war ein
mächtiges Getose und die Augen waren voller Sand. „Mika?
Sisisba? Balthasar? Awnison? Melchior? Wo seid Ihr?“
Ängstlich rieb er sich die Augen. Das Getose ließ nicht nach.
„Lasst mich nicht zurück!“ rief er verzweifelt und wollte
weinen. Doch der viele Sand in den Augen machte das unmöglich.
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