Ich treffe Adolf1
– ja, er heißt wirklich Adolf, man stelle es sich vor!2
– in einer Fußgängerzone in Lyon3.
Er ist Bettler. Mir stellt er sich jedoch … ach nee, er stellt sich
mir als Bettler vor, alles in Ordnung. Wir haben uns verabredet,
damit ich ihm einen Tag bei seinem „Beruf“ über die Schulter
gucken kann. Er sitzt auf einer Decke neben dem Eingang eines
Elektronikfachmarktes. Einen Hut hat er vor sich hingelegt, mit der
Öffnung nach oben. Hat etwas Geld hineingesteckt, als Anreiz für
die Passanten, wie er mir erklärt. Manch einer wirft etwas hinein,
es sind nicht viele, aber am Abend hat Adolf immerhin genug zum
Überleben. „Man kommt über die Runden“, meint er.
Es passiert nicht viel.
Die Leute gehen vorüber, würdigen ihn meist keines Blickes. Er wird
auch nicht angefeindet oder verjagt. Es passiert auch sonst nichts
Erwähnenswertes auf der Straße. Langsam frage ich mich, ob es eine
gute Idee war, einen ganzen Tag dabei zu sein. Im Grunde weiß ich
schon nach zehn Minuten nicht mehr, was ich noch schreiben soll. Ich
frage Adolf, ob er nicht mal was „Lustiges“ machen wolle,
natürlich ganz ungezwungen, es müsse ja authentisch wirken. Ich
biete an, ihm Alkohol zu kaufen, falls er sich Mut antrinken wolle.
Doch er winkt ab. Müde wirkt er und gelangweilt vom Leben.
Gelangweilt bin auch ich, um ehrlich zu sein. Nach zwei Stunden
breche ich das Experiment ab. Bettler zu sein ist sehr langweilig.
Nach zwei Monaten besinne
ich mich eines Besseren: Der Text ist ja schon mal da, und durch
Nichtveröffentlichung bekomme ich die Reisekosten erst recht nicht
rein. Also lade ich Adolf in die Redaktion ein, zu einem Interview.
KREMagazin: Adolf, schön,
daß Sie gekommen sind. Wie war die Reise?
Adolf: Sagen wir mal, sie hat sich gelohnt.
KREMagazin: Das verstehe ich nicht.
Adolf: Nun, ich habe die Reisenden etwas „erleichtert“. Aber mehr werde ich dazu nicht sagen.
KREMagazin: Nee, also dafür haben wir Sie aber nicht eingeladen. Raus mit der Sprache!
Adolf: Mensch, ich habe die Mitreisenden beklaut.
KREMagazin: Ach so … Ach so! Darum wollten Sie auch … Verstehe. Ich! Idiot! Äh … Also, zur ersten Frage: Haben Sie so etwas wie ein Motto?
Adolf: Bisher nicht.
KREMagazin: Was würde denn zu Ihnen passen?
Adolf: Vielleicht „Das kann ich morgen noch erledigen!“
KREMagazin: Verstehe. Also sind Sie ein Faulenzer?
Adolf: Nein, wieso?
KREMagazin: Naja, bei dem Motto, das heißt quasi, ich strecke heute die Beine aus …
Adolf: Eigentlich meinte ich damit, daß ich mir Mut zurede, daß ich morgen noch am Leben bin.
KREMagazin: Ach so … Ups …
Adolf beschließt, das
Interview nur noch mit einem Anwalt fortzusetzen. Widerwillig tun wir
ihm den Gefallen.
KREMagazin: Wie sind denn
ungefähr Ihre Einnahmen im Monat?
Lorschitz: Darauf müssen Sie nicht antworten!
Adolf: Darauf muß ich nicht antworten.
KREMagazin: Na gut! Wie sind Sie denn Bettler geworden, war das eine Bauchentscheidung oder …
Lorschitz: Ich an Ihrer Stelle würde eine andere Frage stellen!
KREMagazin: Verstehe … Und was machen Sie so?
Lorschitz: Ich?
KREMagazin: Ja …
Lorschitz: Ich bin Sozialanwalt. Habe letztes Jahr mein zweites Staatsexamen abgelegt und leider noch keine Kanzlei gefunden, daher betreue ich so hoffnungslose Fälle wie … (er blickt verschwörerisch zu Adolf hinüber).
KREMagazin: Wie sind Sie denn Sozialanwalt geworden? War das so eine Bauchentscheidung oder …
Lorschitz: Nee, das war eine Bauchentscheidung, wie Sie sagen, ja!
KREMagazin: Aha. Und wieviel verdienen Sie so im Monat?
Lorschitz: Naja, von verdienen kann im Moment noch nicht die Rede sein, ich habe ja auch immense Schulden, die ich abzahlen muß …
KREMagazin: Herr Lorschitz, wir danken Ihnen für das Gespräch!
1Name
von der Redaktion NICHT geändert.
2Spott
von der Redaktion bereut.
3Name
von der Redaktion geändert.
Kommentare
Wir in Schweden essen gerne Brei aus zerhacktem Tier, so bin ich zum KREM gekommen. Und was finde ich? Menschen die schön reden. Es hat sich alles gelohnt! Danke
Lernt mal, wie man wahren Journalismus macht.
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