Also
machte sich Joachim an die Arbeit. Er berechnete, er schickte
Schätzer durch das Land, die das Volk zählen und Besitzstände
erfassen sollten, er fertigte Lohnverteilungskurven und viele weitere
Diagramme an, und nicht zuletzt dachte er an die
Öffentlichkeitsarbeit. Marktschreier wurden engagiert, um den
Menschen das Steuersystem zu erklären.
Eines
Tages machte dem König der Herzog von Jerichow die Aufwartung. Der
Diener kündigte ihn, wie üblich bei Besuchern dieses Ranges auf
französisch, an. „Votre Majesté, Son
Altesse le duc Treuchtemil de
Jerichó!“
„Eure
Majestät, wie jugendlich Euer Antlitz dieser Tage wieder ist! Man
könnte meinen, Ihr würdet nicht älter, sondern, einem Zauberwesen
gleich, verjüngtet Ihr euch zu jedem Tag, jeder Stunde, jeder Minute
...“ „Herzog Treuchtemil, welch seltene Ehre! Was führt Euch zu
mir?“
„Nun,
als Fürsprecher im Hohen Rat der Ehrwürdigsten Ständeversammlung
des Landes obliegt es mir, Eure Majestät von einem Ratschluß
desselben in Kenntnis zu setzen, der sich mit der überaus weisen
Entscheidung Eurer Hoheit zu beschäftigen hatte, die Steuern des
Landes auf eine höchst gütliche Weise einer neuen Ordnung zu
unterwerfen.“
„Ich
bin ganz Ohr. Wie lautet der Ratschluß, ehrenwerter Mann?“
„Nun,
zuallererst ist es mir eine Genugtuung, Eurer Majestät die
vollumfängliche Unterstützung dieses weisen Unterfangens seitens
des Hohen Rates auszurichten. Allein, im Detail offenbarten sich
durchaus einige, von Euch gewiß gänzlich unbeabsichtigte
Konsequenzen, die durch wenige unbedeutende Veränderungen
auszumerzen sind und das ganze Gesetz noch vorzüglicher machten.“
„So
sprecht denn: Um welche Details handelt es sich?“
„Nun,
wie Ihr wißt, ist der Adel das „edle Geschlecht“. Wir glauben,
wir seien gottgewollt bessergestellt als die armen, schlechten
Menschen! Dies führt uns zu der Überlegung, daß eine
Steuerzahlung, wie sie für gewöhnliche Menschen durchaus angemessen
ist, für den Adel nicht infrage kommen kann! Seht, Eure Hoheit, ohne
den Adel wäre dieses Land – mit Verlaub – nicht das, was es
jetzt ist. Wir bitten Euch, die Abgabenordnung nicht auf uns Adlige
auszuweiten, denn dies konterkarierte den natürlichen Lauf der
Dinge!“
„Verehrter
Treuchtemil, Euern Einwand in allen Ehren, jedoch gestattet mir, von
meiner Regierungsgewalt ohne Einschränkungen Gebrauch zu machen!
Dies Steuersystem, erdacht von dem hervorragenden Joachim Schüttler,
ist sehr gerecht. Es geht davon aus, daß alle Menschen gleich sind.
Der ehrenwerte Joachim hat es uns aus einer künftigen Zeit
mitgebracht, in der das Privileg des Adels nichts mehr gilt. Auf
diesem ehernen Standpunkt fußt mein Steuergesetz. Richtet das dem
Hohen Hause aus!“
Der
Herzog verzog seine Miene, machte einen Diener und beeilte sich,
hinauszukommen. Der König wollte sich gerade vom Thron erheben, da
trat sein Berater Paprikus von Albanien vor ihn, verbeugte sich und
sprach: „Majestät, auf ein Wort!“
„So
sprich denn, mein lieber Paprikus!“
„Majestät,
was wir soeben vernommen haben, solltet Ihr nicht unbeachtet lassen!
Bedenkt, es ist im ganzen Reich* unüblich, vom Adel die Steuern
einzutreiben! Bedenkt ferner, daß der edle Stand nicht nur über
Nobilität, sondern auch über Mobilität verfügt! Mit anderen
Worten, Eure Hoheit: Erheben wir Steuern, wird der Adel abwandern!“
„Mein
lieber Paprikus, Ihr wißt, ich schätze Eure Expertise, doch diesmal
redet Ihr dummes Zeug: Was ist das, Mobilität? Was Abwanderung? Das
hat man doch noch nie gesehen, daß der Adel freiwillig seinen
Besitzstand zurückläßt! Grundbesitz ist nicht mobil, wie ich Euch
nicht zu erläutern brauche! Und alles nur, um dem Fiskus zu
entfleuchen? Mit Verlaub, das kann ich nicht für bare Münze nehmen!
Doch dennoch lasse ich Eure Anregung nicht unberücksichtigt: Ich
werde ein Gesetz erlassen, daß jedermann seinen Besitz verliert, so
er sich dauerhaft außer Landes ansiedelt. Denen werde ich es
zeigen!“
Gesagt,
getan. Das Steuersystem trat in Kraft, ebenso das neue Gesetz, das
Abwanderung bestrafte. Das Volk dankte es dem König. Eine Woche lang
wurde ausgelassen gefeiert. Es wurden die erlesensten Speisen
aufgetischt, Hering aus Amerika, Tomaten aus Holland und Äpfel aus
Neuseeland.
Den
Höhepunkt der Feier bildete die Hochzeit Joachim Schüttlers mit der
Tochter des Königs im Dom zu Burg. Da man sich mit dem Adel
verkracht hatte, wurde das Volk in die Kirche gebeten. Alle Einwohner
von Burg fanden in der Kathedrale Platz. Der Bischof fragte: „Willst
du, Joachim Schüttler, Erfinder des gerechten Steuersystems, die
Tochter des Königs Prinzessin Viktoria Luise Gustebine Adolfine zu
Recklinghausen-Merseburg zu deinem angetrauten Weibe nehmen, sie
hegen und pflegen, in guten und in schlechten Tagen, bis daß der Tod
euch scheidet, so antworte mit ja!“ Daraufhin öffnete sich die Tür
des Doms und jemand schrie ihnen etwas zu, das aber wegen der
schlechten Akustik des Gebäudes verhallte. Der König stand auf und
blickte erzürnt zum Ausgang: „Wer wagt es, diese heilige Zeremonie
zu stören?“ Der Eindringling näherte sich dem Altarraum, wurde
aber von der Leibwache des Königs im Zaum gehalten. „Herr
Schüttler, ich würde mir gut überlegen, ob Ihr Euch mit des Königs
Tochter vermählen wollt!“ Joachim fragte seine Verlobte, ob sie
den Mann kenne, was sie jedoch verneinte. Der Mann versicherte die
Wachen der Tatsache, daß er keine Waffen trug, dann stürmte er vor
zum Altar und wandte sich an die Bevölkerung. „Bürger von Burg,
König, Wachen, Herr Schüttler! Das Königreich Anhalt-Zerbst
besteht nicht mehr. Hiermit proklamiert der Hohe Rat der
Ehrwürdigsten Ständeversammlung des Landes die Ständerepublik
Anhalt-Zerbst! Das Steuersystem wird abgeschafft! Der König und die
königliche Familie werden zum Tode verurteilt! Widerstand ist
zwecklos! Die Kirche ist umstellt!“
*Gemeint ist natürlich das Heilige Römische Reich deutscher Nation,
d. Red.
Kommentare
Lieber KREM: Ihr seid wirklich gut aber ihr zieht nicht die Schlauesten an.
Kommentar veröffentlichen