Der freundliche Herr, zu
dem wir gehen sollten, zeigte uns einen sehr gemütlichen Raum, in
dem man liegend speisen konnte. Es standen verzierte und gepolsterte
Sitz- und Liegemöbel bereit. Der Raum war bereits für die
Feierlichkeit ausgerichtet, für die wir ihn mieten wollten.
Hoffentlich war es unserem Meister nicht zu luxuriös. Ich ging in
die Stadt, um Besorgungen zu machen. Ich würde meiner Familie gerne
eine Nachricht zukommen lassen, wo ich war und wie es mir ging. Ich
hatte sie ewig nicht gesehen. Der Kleine sah bestimmt schon völlig
anders aus – ob er mich wiedererkennen würde? Aber den anderen,
mit denen ich reiste, ging es genauso. Ich verstand mich gut mit
ihnen, sie waren alle nett. Uns verband ein gemeinsames Gefühl der
Erhabenheit. Wir hielten uns für Gelehrte, Eingeweihte, aber doch
mit den Menschen auf der Straße verbunden. Vielleicht könnte man
sagen: Wir waren erhaben durch Freundlichkeit, in dem Sinne, daß wir
freundlich zu allen waren und alle unsere Freundlichkeit erwiderten.
Diese Freundlichkeit kam von innen. Es war, als seien wir alle
ausgewechselt. So fühlte ich mich zumindest, die anderen hatten aber
ähnliches geäußert. Die Menschen blickten alle zu uns auf, vor
allem zu unserem Führer, oder sagen wir besser Meister. Er hatte uns
diese Erhabenheit durch Freundlichkeit beigebracht und viele andere
Dinge auch. Ich habe früher nicht viel von diesen Leuten gehalten,
die den ganzen Tag über das Leben und den Tod diskutieren, aber wir
hatten durch unseren Meister erfahren, daß wir durch unser Wirken
anderen helfen konnten, mehr noch, daß man durch Hilfe selbst ein
erfülltes Leben erlangen kann.
Und nun feierten wir eben
dieses Fest, wie hierzulande so üblich. Als unser Meister uns
beauftragt hatte, einen Raum auszusuchen, war etwas in seiner Stimme,
was mich stutzig machte: Eine Mischung aus Feierlichkeit und
Gleichgültigkeit, aber vielleicht war es auch nur die innere Ruhe,
die er stets ausstrahlte. Wir alle waren gespannt. Es wurde zwar
gewitzelt, wie immer, aber es lag etwas in der Luft. Wir hatten alle
großen Respekt vor unserem Meister, fürchteten aber auch seine
heftigen Zornausbrüche. Auch deshalb hatte mich seine Lethargie so
erschreckt. Es war nicht typisch für ihn.
Als ich in den Raum trat,
waren die meisten schon da. Unser Meister fehlte noch. Die Spannung
war einer allgemeinen Gesprächsstimmung gewichen. Hier wurden die
neuesten Scherze erzählt, dort wurde über Thesen unseres Meisters
diskutiert. Ich unterhielt mich mit Simon, einem Mann, mit dem ich
spontan Freundschaft geschlossen hatte. Er erzählte immer von seiner
Heimat, aber er schilderte sie so plastisch, daß ich Lust bekommen
hatte, ihn dort einmal zu besuchen. So redeten wir über
Kleinigkeiten.
Plötzlich wurde es still.
Unser Meister trat ein und legte sich auf einen Platz in der Mitte,
den wir ihm freigehalten hatten. Die Spannung lag sofort wieder in
der Luft. Nachdem einer das Tischgebet gesprochen hatte, begannen
wir, zu essen. Es war sehr ruhig. Vereinzelt wurde getuschelt. Unser
Meister war ruhiger als sonst. Die Mahlzeiten nutzte er immer, um auf
unsere Fragen einzugehen, die oftmals das gute Leben im Einklang mit
den Zehn Geboten berührten. Dann erhob er immer die Stimme und
erzählte ein Gleichnis, eine Geschichte aus dem Alltag in einfacher
Sprache, daß uns allen schlagartig klarwurde, wie die Schriften der
Vorväter zu verstehen seien. Wir bewunderten unseren Meister für
seine Klarheit, aber auch für seine Fähigkeit, die Massen zu
begeistern. Heute war er still. Er aß bedächtig, ohne sich
umzusehen. Als sich die Mahlzeit dem Ende näherte, richtete er sich
plötzlich auf und sagte: „Es steht fest, daß einer von euch mich
verraten wird – einer, der hier mit mir ißt!“ Es wurde still.
Ich merkte, wie mir das Blut in die Wangen schoß. Was hatte er da
gesagt? Wir ihn verraten? Ich schaute zu Simon; er war genauso
entsetzt wie ich.
„Ich werde zwar sterben,
wie vorausgesagt, aber wehe dem, der mich verraten hat!“ sprach
unser Meister weiter. Alle blickten jetzt erschrocken um sich. Einer
nach dem anderen fragte, wer ihn verraten würde und wollte sich von
diesem Tatvorwurf freigesprochen wissen. Und was meinte er mit
„vorausgesagt“? Jetzt verstanden wir, worauf er den ganzen Tag
hinausgewollt hatte. Er hatte uns schließlich in die Stadt gesandt
mit der Bitte, jedermann mitzuteilen, daß seine Zeit gekommen sei.
Wir hatten das allerdings so verstanden, daß er nun endlich die
Macht ergreifen würde. Unserer Meinung nach war es höchste Zeit!
Und nun also war er verraten worden. Von wem denn? Ich traute keinem
meiner Freunde so eine schreckliche Tat zu. Da präzisierte sich
unser Meister: „Derjenige, der gerade eben mit mir das Brot in die
Schüssel getaucht hat.“ Alle schauten gebannt auf den eher
schweigsamen Judas, der sein Brot fallengelassen hatte und nun immer
bleicher wurde. Mir lief ein eisiger Schauer über den Rücken.
Judas, natürlich. Den hatte ich ganz vergessen. Ja, irgendwie paßte
das. „Du … du meinst doch nicht etwa mich?“ fragte Judas mit
gebrochener Stimme. „Doch, ich meine dich!“ meinte unser Meister
nur knapp und aß einfach weiter. Also aßen wir auch weiter, wobei
jetzt wirklich Totenstille herrschte. Selbst Judas aß weiter; er
zitterte und man hörte, wie ihm das Schlucken Probleme bereitete.
Das war es also, das war der besondere Anlaß! Er hatte es den ganzen
Tag schon gewußt.
Judas also. Er war ja
schon ein komischer Kerl, stand oft abseits, wenn wir uns
unterhielten, und beteiligte sich nicht an Diskussionen. Aber daß er
zu so etwas fähig wäre, hätte wohl niemand von uns gedacht.
Wieviel ihm die Häscher des Besatzerregimes wohl dafür geboten
hatten? Wenn man ihn so ansah, wie er da saß, aschfahl im Gesicht
und in sich zusammengesunken, schien es fast, als sei er selbst
überrascht von seiner Tat.
Während ich noch in
Gedanken versunken war, hob unser Meister wieder an zu sprechen. Ich
blickte auf. Er hielt ein Stück Brot in der Hand und betete. Dann
zerbrach er das Brot in Teile, für jeden eines, und sagte : „Nehmt
und eßt, das ist mein Leib!“ Bei diesen Worten verging mir
vollends der Appetit, aber er forderte uns nachdrücklich auf, zu
essen. Ich verstand ihn nicht. Wir feierten Passa, eine Freudenfest,
und er machte eine Trauerfeier daraus. Oder meinte er seine Worte wie
so oft anders, als ich sie verstand? Diesen Eindruck hatte ich schon
öfter gehabt, wenn er in seinen Geschichten Symbole verwendete, um
uns auf etwas aufmerksam zu machen.
Mittlerweile hatte unser
Meister seinen Becher genommen. Er betete erneut. Dann sagte er:
„Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das für alle Menschen
vergossen wird, um ihnen ihre Fehler zu vergeben. Mit diesem Blut
wird ein neuer Bund zwischen Gott und den Menschen abgeschlossen. Von
jetzt an werde ich bei einem Passamahl keinen Wein mehr trinken, bis
mein Vater seine Arbeit getan hat.“
Da verstand ich.
Kommentare
auch wenn sie unser Freund sind, können wir Ihnen nicht alles durchgehen lassen. Also bitte bitte bitte, seien Sie nicht immer so böse!
ist DER KREM nicht ein Medium, das jedem die Möglichkeit geben sollte, sich zu äußern? Ich denke, dass es der Philosophie des KREMs widerspricht, Personen wegen ihrer Intelligenz zu beschimpfen.
Ergebenst, auch ein Freund des KREMs, aber ein weniger faschistischer
Also, immer noch Lust auf ein alkoholfreies Bier?
Immer noch Lust auf ein alk.-freies Bier?
Löschen
:-)
Haben Sie das verstanden?
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