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Sechstausend Meter und höher: Berge

„Diesmal sollte es andersherum sein“, dachten sich die drei Sechstausender aus Nepal. „Diesmal gehen wir klettern, und zwar auf Bergsteigern.“ Was der Machapucharé, der Kaya Chuli und der Tukche Ri sich da in den Kopf gesetzt hatten, schien zunächst völlig verrückt, aber je länger sie auf mich einredeten, desto mehr glaubte auch ich an dieses Unterfangen. Sie waren so fest überzeugt von ihrem Traum, dass ich nicht anders konnte, als ihnen zu helfen. Zunächst mussten alle Bergsteiger dieser Welt ins Himalaya geholt werden, denn dort sollten sie gestapelt und fixiert werden, damit die drei Sechstausender hinaufklettern konnten. Erstaunlicherweise habe ich dafür kaum zwei Wochen gebraucht. Natürlich konnte ich sie nur unter einem Vorwand nach Nepal holen, doch sie fielen alle, ausnahmslos, darauf rein. Nun musste ich sie stapeln. Auch das ist mir unter Verschweigen der Wahrheit gelungen. Selbst das Fixieren haben sie noch mitgemacht, ohne misstrauisch zu werden. Der Anblick der 8.253.389 Kletterer war durchaus interessant. In einem Tal, ein paar Kilometer nördlich von Pokhara, türmte sich der 877 Meter hohe Berg aus Hobby- und Profibergsteigern, zusammengebunden mit einem festem Gürtel, der sie zusammenhielt.
Geduldig wartete der menschliche Berg, er wusste aber nicht worauf.
Alle Vorbereitungen waren getroffen, jetzt mussten die Berge zum Berg kommen.
Der Machapucharé hatte den kürzesten Weg, er ließ sich Zeit bei seiner Anreise, der Kaya Chuli und der Tukche Ri kamen aus den entlegensten Teilen des Landes und brauchten auch dementsprechend lange. Am 28. August 1997 traf der Kaya Chuli als letzter Berg ein. Die drei Berge machten kein Geheimnis daraus, dass sie sich unheimlich freuten. Mir waren sie zutiefst dankbar, dass ich all das organisiert und ermöglicht habe, was sie mir durch großzügige Geschenke zeigten. Ich war fröhlich, ja geradezu euphorisiert, aber ein ungewohntes Gefühl breitete sich in mir aus. In der ersten Nacht nach unserer Zusammenkunft konnte ich kaum schlafen, da ich so aufgeregt war. Am nächsten Tag war meine Stimmung fürchterlich, die Berge ließ ich aber wenig davon mitbekommen, da ich ihre Freude nicht trüben wollte. Ich sprach kaum, was die Berge zwar verwunderte, aber sie nicht zum Nachfragen bewog. Ich merkte, dass mein Körper sich veränderte. Äußerlich war nichts zu erkennen, aber ein unaussprechliches Gefühl durchfuhr mein ganzes Ich. In der darauffolgenden Nacht habe ich geträumt. Ich träumte sehr intensiv. Wovon, kann ich leider nicht mehr sagen, aber in meiner Erinnerung ist nur ein gutes Gefühl zurückgeblieben. Als ich am nächsten Tag ausgeschlafen aufgewacht bin, es war schon Vormittag, hatte ich ein Gefühl, das ich vorher noch nicht hatte. Ich fühlte keinen Körper mehr, keine Körperteile, ich nahm Geräusche und Töne nicht mehr wie vorher wahr. Alles in mir hat sich verändert.
Die drei Berge schauten mich lächelnd, mit einer Wärme in ihrem Ausdruck, an. „Du bist jetzt einer von uns“, sagten sie, „ein richtiger Berg, und sogar ein Siebentausender.“ Ich glaubte ihnen nicht, aber sie hatten Recht. Ich musterte meinen Körper und sie hatten Recht. Auf mir befanden sich viele Gletscher, Rückzugsschotter, Muränen, Überhänge und natürlich ein Gipfel, auf ewig eingeeist. „Komm mit, wir wollen endlich den Menschenberg besteigen“, sagten sie zu mir, „Jetzt ist die Zeit reif dafür. Und du gehst voran.“ Ich konnte mich tatsächlich vorwärts bewegen. Ich verstand nicht wie, aber es ging, und es ging gut. Wenige Meter vor dem Menschenberg machte ich halt. „Was ist?“, fragte mich der Kaya Chuli mit seiner eindringlichen Art. Ich zögerte kurz. „Das sind doch Menschen. Menschen mit Gefühlen, wie ich bis gestern auch einer war. Ich kann nicht auf sie heraufsteigen, das bringt sie alle um.“ Kaya Chuli schaute mich gutmütig an: “ Ich weiß, dass das Menschen sind, aber sie bekommen nichts davon mit. Für sie ist das wie ein unruhiger Traum, aber verletzt werden sie nicht. Sie werden morgen aufwachen und ein schlechtes Gewissen haben, das ist alles. Sie werden nicht mehr Bergsteigen wollen, das ist wirklich alles. Vertrau mir.“ Wenn Kaya Chuli zu mir sagte „Vertrau mir“, dann vertraute ich ihm. Ich ging sehr behutsam auf den Menschenberg, so langsam, wie es mir nur möglich war. Und er hielt stand. Ich ging schneller, meine drei Berge folgten mir. Es hat mir große Freude bereitet, auf dem Berg zu sein. Ich begann zu tanzen, zu singen, meine drei Freunde sangen mit, es war großartig. Die Zeit verging schneller, als ich es mitbekam. Meine Freunde sagten, wir müssten wieder runtergehen, da die Zeit vorbei sei. Ich war fast runter vom Menschenberg, da blieb ich noch einmal stehen. Ich schaute mich um und wurde traurig: „Wo soll ich denn jetzt hin? Ihr drei geht wieder an eure angestammten Plätze, wo ihr seit Jahrtausenden steht. Aber wo soll ich hin?“ Ich war kurz davor, zu weinen. Machapucharé kam zu mir und hielt mich fest. „Du hast deinen Platz, genau hier, siehst du?“ Ich schaute unter mich und da erblickte ich es. Der Menschenberg war fort und ich hatte meinen Platz. Genau hier musste ich stehen. Einen richtiger Platz für mich. Für mich, einen 7845 Meter hohen Berg.
Machapucharé, Kaya Chuli und Tukche Ri schauten noch einmal zu mir, dann machten sie sich auf den Weg, in alle Ecken des Himalayas, wieder dorthin, wo sie herkamen.

Kommentare

KREMfreund_02 hat gesagt…
Was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen, lieber KREMredakteur? Die Geschichte ist weder lustig, noch unterhaltsam oder lehrreich. Bitte wieder rausnehmen und neue Geschichte hochladen. Berge, die selber auf einen Berg klettern wollen, das ist doch Wahnsinn!

Es grüßt ein kritischer und gutmütiger Leser
Kiter Verbel hat gesagt…
Interessante Idee, die hier als Kurzgeschichte daherkommt. Der Berg als Gebeutelter, auf dem immer nur "herumgetreten" (man verzeihe mir das Wortspiel) wird. Die logische Schlussfolgerung: Eine Explosion, aber wie! Es setzt Kommunikation zwischen den Bergen ein, sie können sogar mit Menschen in Kontakt treten. Und die Pointe, ein Mensch, also eigentlich ein potentieller Widersacher, wird einer von Ihnen. Diese Idee: Brilliant.
KREMfreund_01 hat gesagt…
KREMfreund_01 gans ehrlich! Halts MAUL, echt! Und Kiter Verbel, du schlaues Opfer. Dein Name ist scheiße aber du bist besser als Nachmacherspacko, weil du auch den KREM gutfindest.
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Auch hier wird wieder fleißig kommentiert. Das freut mich natürlich sehr.
Dennoch möchte ich wieder einmal KREMfreund_01 darauf hinweisen, dass ein angemessener Umgangston angebracht ist. Das ist sowohl in unserem, als auch in seinem Sinne.

Noch eine kleine, nicht ganz lustige Information, die ich allen KREMerinnen und KREMern mitteilen möchte: Christoph Teusche hatte einen Autounfall, er ist gegen das Denkmal für die Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus in Berlin gefahren und hat sich "nur" das Schlüsselbein gebrochen. Im Gegensatz zum Denkmal, das jetzt wohl abgerissen wird, muss Christoph nur für 4 Tage im Krankenhaus bleiben. Auch von hier nochmal beste Genesungswünsche, Christoph, du alter Haudegen.

Also, macht euch keine Sorgen, Christoph kann bald selbst wieder bei euch melden.
Anonym hat gesagt…
Gute Besserung! Hoffentlich gehts ihm wieder besser!

Es grüßt: Erwin Kot
Anonym hat gesagt…
Oh nein, das ist ja schrecklich!
Das sehr schlimm. musse schnel wieda werde gesunhd. mein mama sage immer: "diventando di nuovo in salute, altrimenti vi soggiorno malato!"

dasmuss er mache
Hans Richard Herrmann hat gesagt…
Das Denkmal warb mir sowieso ein Dorn im Auge. Vielen Dank Herr Teusche und beste Genesungswünsche.
Falk Müssner-Uhjethal hat gesagt…
Natürlich wünsche ich ihm auch gute Besserung. Aber warum ist er gegen dieses Denkmal gefahren? Ist das nicht ein bisschen dumm?
KREMfreund_01 hat gesagt…
Hals Maul Falko!!! Christoph Teusche ist, um mal metaforisch zu sein, das Gehirn und die Nase vom KREM! Außerdemist er mein Fastschwiegerfater
Luiser Mentuhl hat gesagt…
Ich hoffe er wird ganz krank. Das Schlüsselbein soll mit seinem Beckenknochen zusammenwachsen (Ärztepfusch) und dann soll er nur noch laufen können, wie eine Krabbe.

Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Vielen Dank für die vielen lieben Genesungswünsche, diese werden natürlich weitergegeben.

Ich habe Christoph noch nicht besucht und ich habe auch nicht vor ihn zu besuchen, aber per SMS hat er mir geantwortet, dass er mit seinem Auto "etwas ausprobieren wollte" und dann dieses "kleine Malheur" passiert ist.
Noch ein ppaar Worte zum Denkmal: So verwüstet, wie es jetzt ist, muss es nun tatsächlich abgerissen werden. Der "Verein gegen das Vergessen", der das Denkmal durch Privatspenden finanziert hat, hat angekündigt, Christoph anzuzeigen. Aber das da noch was kommt oder das ganze sogar ein Nachspiel hat, halte ich für unwahrscheinlich.
Anonym hat gesagt…
Stirb Christoph, stirb! Verrecke!
Rüdiger Fahrenschon hat gesagt…
Pfui, das wünscht man aber keinem! :) Nicht mal dem Christoph :-)

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