„Was
ist eigentlich eine Parallelhandlung“, fragt Hans Mexiko Elias
seine Mutter Dörthe und schaufelt sich mit seiner Patschehand
fettfreie Bio-Chips in seine Kinder-Fresse. Die ist erstaunt. Nach
einer weiteren Lektion In einem Leuchtturm
hatte sie eigentlich eine inhaltliche Frage von ihrem als hochbegabt
geltenden Sprößling erwartet, immerhin besucht dieser die
MensAcademy, eine jener Privatschulen für kleine Genies wie ihn.
„Also … eine Parallelhandlung ist“, hebt sie dennoch an, mit
der ihr eigenen verständnisvollen Art zu erklären, „wenn in einer
Geschichte ein zweiter Erzählstrang etabliert wird, der in Relevanz
und meist leider auch im Unterhaltungswert gegenüber der
Haupthandlung zurücksteht.“
„Also
wie die Geschichte von Bernd und Luca in der Leuchtturmgeschichte?“
- „Ja, genau, man wünscht sich natürlich, mehr über Michael zu
erfahren, aber aus sadistischen Gründen (wie ich annehme) …“ -
„Mama, hast du gerade eine Klammer gesetzt?“ - „Ja, mein
Schatz. Also, aus sadistischen Gründen wird die äußerst
unspannende und zähflüssige Geschichte von Bernd erzählt, der aus
Gnade einen neuen Sidekick bekommen hat, eben Luca, von der wir
einfach nicht wissen, wohin sie sich entwickelt und warum überhaupt
von ihr erzählt wird.“
Bernd
packte den leblos in der Kajüte treibenden Körper mit beiden Armen
und schulterte ihn. Hinter ihm kam ein Mann mit einem großen Eimer.
Bernd ließ den Fisch von seinen Schultern in den Eimer gleiten.
„Nochmals danke, Jungs, aber außer ein paar an Deck schwimmenden
Fischen ist hier nicht viel passiert. Na gut, das Schiff muß wohl in
die Werft, aber ich sage immer, Hauptsache gesund!“ „Man hilft,
wo man kann!“, entgegnete Bernd lächelnd, krempelte sich die
triefenden Ärmel hoch und stellte sich mit verschränkten Armen auf
das Deck. Luca war gerade dabei, den letzten Fisch in einen Eimer zu
werfen. Es gab nichts mehr zu tun, ihre Arbeit war getan.
Im
Hafen wurden sie von Schosch abgefangen, der für das „Tagblatt“
arbeitete. „Hallo, Bernd! Wart ihr gerade helfen hier?“ „Ach,
Schosch, das war nichts Großartiges, nur ein paar Fische
aufsammeln.“ „Ja, das ist unser Bernd, immer ganz bescheiden. Ich
will alles wissen, das wird die Geschichte morgen! Gehen wir ins
„Erna's“?
Michael
war auf dem Weg nach Hause. Er freute sich, gleichzeitig war er aber
nervös. Was würde Bernd sagen, nach all der Zeit? Was würde er auf
die Frage antworten, die er vor seinem Verschwinden aufgeworfen
hatte?
„Hee,
willst du mal das Deck sehen?“ Einer seiner Bewacher, der auf den
Namen „Dolch“ hörte, stand auf einmal in der Tür. „Klar,
warum nicht? Bin ich eigentlich noch gefangen?“ „Ja und nein“,
meinte Dolch, „wir wissen gern, wo du bist, daher ja, aber
eigentlich nein. Also theoretisch nein. Aber praktisch eben ja. Also
eigentlich ...“ „OK, du mußt nicht weiterreden, das ist ja eh
überhaupt nicht deine Stärke!“, neckte Michael ihn. Dolch hatte
keinen Sinn dafür und boxte ihn in die Magenkuhle. Dann gingen sie
an Deck.
„Also,
jetzt erzählt mal, wie ist das eigentlich passiert mit dem Kutter?“
Bernds Geltungsdrang überwog deutlich seinen Haß auf
Schmierblätter, deshalb war er gern dazu bereit, Auskunft zu geben.
Er war nur nicht sonderlich redegewandt. „Ein Tanker rammte ihn.
Dann geriet er in eine Schieflage.“ „Ach so. Und was geschah
dann?“ „Dann sind wir an Bord des Schiffes gegangen und haben die
aus den Eimern gefallenen Fischer eingesammelt.“ „Das ist alles,
es waren nur ein paar Fische aus den Eimern gefallen?“ „Ja.“
„Und … Wie wurdet ihr empfangen?“ „Freundlich.“ „OK. Wie
ist denn Ihre Meinung dazu, Herr ...“ Der Reporter wandte sich an
Luca. „Das ist Luca. Meine neue Aushilfe. Seit Michael weg ist.“
„Michael ist weg, davon wußte ich gar nichts!“ „Stand doch
groß in allen, äh, anderen Zeitungen! Mensch, Schosch!“ „Wie …
was … ist denn mit ihm passiert?
Da
geschah etwas mit Bernd. Der monatelang aufgestaute Kummer über
Michaels Verschwinden brach sich Bahn und wurde zum längsten
Redeschwall in seinem Leben.
„Also,
an dem einen Abend hat er mir ein Geständnis gemacht. Und ich habe
nicht drauf reagiert! Und dann ist er runtergegangen. Und vor der Tür
unten hat ihn ne Megawelle weggerissen. Und dann war er weg. Und dann
habe ich von ihm eine Flaschenpost bekommen. Und dann haben sie nach
ihm gesucht, wo die Flaschenpost herkam. Und dann haben sie gesagt,
daß er schon weg war. Und dann … war er endgültig verschwunden.“
- „Wann war das?“ - „Das Gespräch mit dem Suchtrupp war vor
drei Wochen!“
„Michael
hat dir ein Geständnis gemacht? Ein Liebes-Geständnis? Heißt das,
er war schwul?“ - „Er IST schwul! So was ändert sich doch
nicht!“ - „Nein, das meinte ich auch nicht, aber vielleicht ist
er ja schon längst tot.“ - „Ja, vielleicht, aber ich will das
nicht wahrhaben.“ - „Er hat eine Flaschenpost geschrieben. Von wo
aus?“ - „Von einem seltsamen Felsen in der Oymel-Bucht. Da haben
angeblich Leute drin gebuddelt.“ - „In der Oymel-Bucht? Dort
vermuten sie doch Hitlers Nazi-Schatz!“ - „Weiß ich nichts von.“
- „Womöglich war das das Flugzeug … Dann wurde der jetzt
ausgegraben! Das wäre ja der absolute Knüller! Weißt du mehr
darüber?“ - „Nein.“ - „Du meintest doch, da hätte jemand
gebuddelt?“ - „Ja.“ - „Also war es kein Felsen?“ - „Doch.“
- „Aber in einem Felsen kann man nicht buddeln.“ - „Das habe
ich dem Suchteam auch gesagt. Aber darüber weiß ich nichts. Wollen
wir nicht lieber wieder über den Kutter …?“ - „Vielen Dank,
Bernd, du hast mir sehr geholfen!“
Michael
bestaunte indes das Schiff, das er erstmals von außen sehen konnte.
Es war bemerkenswert häßlich. Offenbar hatte jemand ein Segelschiff
zu einer Art Tarnkappenbomber umgebaut. Genauso sah das Schiff aus.
Massive runde Säulen aus einem schwarzen, glänzenden Material
gingen über in segelartige Aufbauten, scheinbar aus dem gleichen
Material. Die Sonne stand noch relativ hoch am Himmel, aber das
Schiff reflektierte keinerlei Sonnenlicht. Es sah aus wie ein
Geisterschiff aus einer anderen Galaxie. „Die Idee bei dem Schiff
ist, nicht gesehen zu werden, daher das Material, das man auch von
sogenannten Tarnkappenbombern kennt.“ - „Wieso „sogenannten“?“
- „Wie bitte?“ - „Du sagtest „sogenannten Tarnkappenbombern“.
Wie heißen die denn in echt?“ - „Na, Tarnkappenbomber.“ -
„Also nicht „sogenannte“.“ „Doch.“ - „Aber …“
Michael hielt inne. Es hatte keinen Sinn. „Also“, fing Dolch
wieder an, „das Material ist das von sogenannten tatsächlichen
Tarnkappenbombern – ist es so besser?“, unterbrach er sich
selbst, was Michael nur mit einem aufmunternden Nicken bestätigte,
„aber darunter ist es ein Segelschiff. Darauf bestand unser
Auftraggeber. Er ist ein Ökologe, wissen Sie?“ „Und euer
Auftraggeber sammelt Schätze?“ - „Er sammelt vor allem
sogenannte … äh, ich meine tatsächliche „Nazi-Schätze“.
Dafür hat er einen Spleen.“ - „Ist er selbst auch Nazi?“ -
„Weiß ich nicht, aber ich bin auch sehr unpolitisch, frag mal
Mathis.“ - „Wem gehört denn das Schiff?“ - „Das ist
kompliziert. Zunächst gehörte es unserem Auftraggeber, aber der hat
es an die CIA verkauft, besser gesagt, es wurde gepfändet und die
CIA hat am höchsten geboten bei der Auktion. Sie hat es dann in
dieses Kampfschiff umbauen lassen. Dann haben wir Schatzsucher eine
Genossenschaft gegründet und es von der CIA geleast. Aber wir nutzen
es meistens gemeinsam, daher zahlt uns die CIA eine Nutzungsgebühr.
Wir wiederum haben Genossenschaftsanteile an unseren Auftraggeber
verkauft.“ - „Verstehe“, log Michael.
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Justus Matereit
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