6
Als sich die Stürme gelegt hatten, war
es schon wieder äthiopisch heiß. Kaspar wollte sagen „brütend
heiß“ und gedachte seines ehemals gefiederten Nachtgesichtes. Um
ihn herum lagen Klumpen zweifelhafter Konsistenz irre verstreut. Er
konnte sich ihr Wesen nicht erklären. Seine Freunde fand er unter
einer Dattel wieder. Sie hockten entspannt über den geschnitzten
Mulden und harrten der Erfindung des Schachcomputers. Allerdings
waren sie nicht mehr vollzählig. Die drei Rüpel Mika, Sisisba und
Awnison schienen verschwunden. Kaspar streckte sich und schüttelte
Staub von den Schuhen. In wenigen Tagen wird Kaspar etwas
Unglaubliches wiederfahren, doch heute noch ahnte er nichts davon.
Seine flinken Jungenaugen huschten stattdessen von Horizont zu
Horizont und suchten angestrengt nach den drei Kumpelkas. In der
Ferne verschwamm der Gerölldunst mit den Himmeln und erzeugte
Spukbilder.
Kaspar war ihnen oft genug aufgesessen, diesmal blieb er unbeirrt. Er beschloss, sich aufzuraffen, rückte umständlich das knöchellange Lumpengewand zurecht, das seine sowieso schon feminine Figur ungünstig unterstrich und wankte der Dattel entgegen, die Balthasar und den Alten brettspielend beherbergte. In der Nähe meckerte eine missbrauchte Ziege und leckte sich die Zitzen. Eine reife Dattel stürzte aus der Höhe in die Tiefe und zerschellte am Krückstock Melchiors, der wie eine Drohgebärde am Stamm lehnte. Zwischen den Dreien entwickelte sich ein bedeutungsschwangeres Gespräch, das für den Fortgang der Geschichte von nicht absehbarer Tragweite sein sollte ….
Kaspar war ihnen oft genug aufgesessen, diesmal blieb er unbeirrt. Er beschloss, sich aufzuraffen, rückte umständlich das knöchellange Lumpengewand zurecht, das seine sowieso schon feminine Figur ungünstig unterstrich und wankte der Dattel entgegen, die Balthasar und den Alten brettspielend beherbergte. In der Nähe meckerte eine missbrauchte Ziege und leckte sich die Zitzen. Eine reife Dattel stürzte aus der Höhe in die Tiefe und zerschellte am Krückstock Melchiors, der wie eine Drohgebärde am Stamm lehnte. Zwischen den Dreien entwickelte sich ein bedeutungsschwangeres Gespräch, das für den Fortgang der Geschichte von nicht absehbarer Tragweite sein sollte ….
7
„Was war einst Dein Beruf alter
Mann?“ fragte Balthasar den gutmütigen Greis Melchior. „Als
junger Bursche verdiente ich meine Taler mit Zauberei. Das lief aber
nicht. Meine Künste reichten nur aus, um ungesalzenes Wasser zu
färben und das konnte bei uns im Dorf jeder. Damals hatte ich auch
vor, eine Jungfrau zu beeindrucken, doch ohne das nötige Vermögen
wollte meine damalige Debre nichts von mir wissen. So wurde ich
Maulbeerfeigenritzer in den Ostlanden, bis man mich eines Tages an
den Hof von König Drosselbart rief, dem ich bis vor wenigen Tagen
als Berater diente.“ Balthasar war erstaunt. Sein Blick verriet
planvolles Denken. „Wie Du weißt, bin ich nur ein
Plantagenarbeiter, die drei Jungs sind Lustmolche und fühlen sich
immerzu von der Arbeit befreit, Kaspar hier, war bis gestern ein
jämmerlicher Kleinwarenhändler. So wie wir sind, kommen wir morgen
niemals im Schilfboot über den großen Fluss, von dem Du die ganze
Zeit sprichst. Wir müssen uns als besondere Gesandte oder so etwas
ausgeben, sonst nimmt uns der Fährmann nicht mit. Mit meiner
Sachkenntnis, Deinen Erfahrungen an den Königshöfen dieser Welt,
Kaspars verweichter weiblicher Art und dem Hang zur generellen
Übertreibung bei Mika, Sisisba und Awnison könnten wir es schaffen
Eindruck zu hinterlassen und man wird uns auf der riesigen
Wüstenhalbinsel zutritt gewähren.“ Der Eselkopf nickte
nachdenklich. „Du hast Recht, doch denkst Du zu schnell und
erfolgsorientiert. Wie sollen wir in unserer ärmlichen Kleidung
wichtige Gesandte sein? Hier ist weit und breit kein Stoffhändler.
Balthasar, wir sind in der Wüste!“ Der letzte Ausruf war lauter
als gewohnt und klang dramatisch. Balthasar wusste nicht weiter.
Kaspar hatte sowieso noch nichts gesagt und spielte an seiner Brust
rum. In die verzwickte Szene hinein hörten sie Lärm von Tröten und
Schellen. Aufspringend sahen sie am Horizont drei überladene
Gestalten, mit Kamel und Ziege auf sie zu steuern. Auf dem Kamel war
ein großer Korb mit scheinbar Tausend Wunderlichkeiten, die noch
davon gekrönt wurden, dass aus ihrer Mitte ein liebreizender
schwarzlockiger Frauenkopf lächelte. Als erstes erkannten sie
Sisisba, der verdächtig nahe bei der Ziege lief und freudig winkte.
Was war das für ein überraschendes Wiedersehen. Wo kamen die Jungs
nur her und wie hatten sie all die Schätze besorgt?
8
Sisisba lief Speichel aus dem Mund, als
er den Zurückgebliebenen erzählte, was nach dem Drogenexzess am
vorigen Abend passierte. Von Wahn und Durst wurden die Trinkteufel an
die nächstgelegene Oase getrieben und stillten ihr Begehren dort wie
Hunde, mit der Zunge schleckend, denn so hatten sie es in der Schrift
gelesen. In diesem Zuge begegneten ihnen auch die fröhlichen
Midianiter, die ihnen eine kleine schwarze Sklavin für `n Appel und
`n Ei überließen. Da sie Kaspars Bauchladen im Eifer umgeschnallt
hatten, war dem Tauschhandel Tür und Tor geöffnet. Mika schinderte
wie eine Hafennutte, als er alle ersteigerten Waren auf die
dazugehörigen Lasttiere schnallte. Seine beiden Freunde waren dazu
schlecht in der Lage, sie hockten mit den Fremden am Feuertopf und
kochten Buchweizengrütze nach Großmutters Art.
Das kleine Sklavenmädchen lachte
frech. Sie gehörte nun dazu, da war nichts zu machen. Insgeheim
hatten die drei Zurückgebliebenen jeder für sich noch gehofft, sie
hätten die Raufbolde abgehängt, aber so war es immer schon: wenn
man nicht mehr an sie dachte, tauchten sie plötzlich wieder auf und
brachten alles in Unordnung. Jetzt aber war ihr Erscheinen auch
unseren Protagonisten Balthasar, Melchior und Kaspar von Nutzen. Auf
den Kamelrücken befanden sich prächtige Gewänder und lustige Hüte.
Balthasar, der Mohr (alle anderen waren Zugereiste) schnappte sich
die grüne Joppe und einen schwarzen Hut mit einer peinlichen
Federboa, die Kaspar ihm aufgrund seiner femininen Veranlagung im
Laufe der Reise mehrere Male abspenstig zu machen versuchen wird.
Jetzt sah er jedenfalls aus, wie ein echter Adliger aus der Fremde.
Mal schauen, ob sie das auch dem Fährmann weiß machen könnten...?
9
Der zweite Tag der großen Reise neigte
sich schon wieder dem Ende. Neu eingekleidet marschierte der
ansehnliche Trupp gleichsam einem Heldenepos entgegen. In der Mitte
trottete das Kamel, Ndogo (Balthasar hatte die Sudanesin in einer
ruhigen Minute nach dem Namen gefragt) saß in ihrem Korb und blickte
zu den ersten Sternen auf. Vorne weg lief Balthasar. Seine Miene war
fürstlich finster. Ohne Zweifel er war der Anführer der Bande
geworden. Neben ihm hinkte seine rechte Hand, Melchior, der es zwar
nicht mehr lange zu machen schien, aber immer noch einen Rat auf
Lager hielt. Hinter den beiden kamen Sisisba und Kaspar, umrandet von
zwei Ziegen. Regelmäßig drehte sich Balthasar um und mahnte, dass
er Sisisba aus der Gruppe ausstoßen werde, sollte er noch einmal die
Ziegen leer trinken. Hinter dem Kamel bildeten Awnison und Mika die
Nachhut. In ihren Händen hielten sie Knüppel, die möglichen
Räubern Angst einjagen sollten. Der starke Weihrauchgeruch der die
beiden umgab aber, verharmloste die Situation maßlos. So liefen sie
die ganze Nacht hindurch mit müden Gesichtern quer durch die Wüste.
Nur die kleine Ndogo hatte zwischen Krimskrams im Korb etwas Schlaf
finden können. Mit den ersten Sonnenstrahlen erblickten sie das
festlich glänzende Blau des Flusses. Der Fährmann Urschanabi stand
bereits am Ufer und winkte in Richtung der Reisenden. Balthasar
schritt ihm ehrfürchtig entgegen. „Moz ugluk ni bema aiuro!“
rief er dem Fährmann schon aus Entfernung zu. Dieser machte ein
Gesicht als verstünde er kein Wort. „Ni bema
aiuro? Ni bema aiuro?” wiederholte Balthasar mit
freundlichem Augenzwinkern. Der Fährmann zuckte mit den Schultern
und flüsterte höflich „nix versdehe tein Sprechäh“. Balthasar
deutete auf das Schilfboot und ruderte mit den Armen in der Luft. Der
Fährmann, daraufhin, nahm ein Stöckchen und malte eine Art
Landkarte in den Sand. Balthasar verstand und rief Melchior herbei
und der machte ein Kreuz an die Stelle, bis zu der sie gebracht zu
werden wünschten. Geschätzte 280 Meilen erklärte Melchior, sich
umdrehend, allen umstehenden. Balthasar und Fährmann Urschanabi
reichten sich die Hände, Mika übergab ein Säckchen Weihrauch und
der Handel war perfekt. Das Schilfboot wurde beladen und noch ehe es
ablegte, schliefen alle sechs tief und fest an das Schilf gelehnt.
Nur Ndogo beobachtete aus dem Korb interessiert die Arbeit des
Fährmanns und ließ sich den aufkommenden Fahrtwind erleichtert ins
Gesicht wehen. Der Wind gab ihr seit langer Zeit ein Gefühl von
Freiheit. Jetzt erst warf sie einen durchdringenden Blick auf den
schlafenden Balthasar, während das Schiff Flussmeile um Flussmeile
zurück legte.
10
Die kleine Arche trieb das Flüsschen
entlang. Urschanabi hatte mit der Strömung zu kämpfen, er fand kaum
Zeit, sich die drei kleinen Könige mit ihrem Gesinde zu betrachten.
Andererseits hätte er so vielleicht den Braten gerochen. Awnison
stank stark nach Knoblauch und versuchte trotzdem immer wieder die
kleine Sklavin mit den Korkenzieherlocken für sich zu gewinnen.
Diese entgegnete seine Blicke angewidert. Vorsichtig kam sie mit
Melchior ins Gespräch. Sie war die Tochter eines Hauslehrers und
redete darum auch in der runzligen, äthiopischen Sprache des Alten.
Ndogo versuchte herauszufinden, wohin die Reise ginge. Scheinbar war
das niemandem klar, was die Zarte geringfügig beunruhigte. Melchior
redete wirr, von „ein Stern am Himmel“ und „immer der Nase
nach“. Auf ihn war kein Verlass mehr, es war das Alter, das ihm zu
schaffen machte. Manchmal fiel er in Wahn und zitierte aus der
Schrift wild drauflos. Mika und Sisisba hatten ihr erklärt, Melchior
betrieb als er noch jung und klug war, ein umfangreiches Archiv in
einer Höhlengegend um Qumran im Heiligen Land, das seit geraumer
Zeit aber völlig heruntergekommen sei. Ndogo wusste damit wenig
anzufangen, sie hielt nicht viel von diesem monotheistischen Blabla.
Als endlich auch Balthasar erwachte, befragte sie ihn selbst. Er
schien hier einzig einen kühlen Kopf zu bewahren, hatte er nicht
letztlich auch etwas mit dem Fährmann ausgemacht? Sie nahm seine
Hand in die ihre und blickte ihm konsequent auf die tiefsitzende
Nasenwurzel. Balthasar konnte diesem Blick schwer widerstehen. Er
dachte an Debre und wie einst Melchiors keimiger Papyrusschrieb
zwischen ihren hüpfenden Brüsten landete. Er beschloss, Ndogo in
die Pläne einzuweihen – in dem Moment genau, als in der Ferne
mächtige Bauwerke auszumachen waren.
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