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Gastbeitrag: Weihnacht, Weihnacht (2)

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Als sich die Stürme gelegt hatten, war es schon wieder äthiopisch heiß. Kaspar wollte sagen „brütend heiß“ und gedachte seines ehemals gefiederten Nachtgesichtes. Um ihn herum lagen Klumpen zweifelhafter Konsistenz irre verstreut. Er konnte sich ihr Wesen nicht erklären. Seine Freunde fand er unter einer Dattel wieder. Sie hockten entspannt über den geschnitzten Mulden und harrten der Erfindung des Schachcomputers. Allerdings waren sie nicht mehr vollzählig. Die drei Rüpel Mika, Sisisba und Awnison schienen verschwunden. Kaspar streckte sich und schüttelte Staub von den Schuhen. In wenigen Tagen wird Kaspar etwas Unglaubliches wiederfahren, doch heute noch ahnte er nichts davon. Seine flinken Jungenaugen huschten stattdessen von Horizont zu Horizont und suchten angestrengt nach den drei Kumpelkas. In der Ferne verschwamm der Gerölldunst mit den Himmeln und erzeugte Spukbilder.
Kaspar war ihnen oft genug aufgesessen, diesmal blieb er unbeirrt. Er beschloss, sich aufzuraffen, rückte umständlich das knöchellange Lumpengewand zurecht, das seine sowieso schon feminine Figur ungünstig unterstrich und wankte der Dattel entgegen, die Balthasar und den Alten brettspielend beherbergte. In der Nähe meckerte eine missbrauchte Ziege und leckte sich die Zitzen. Eine reife Dattel stürzte aus der Höhe in die Tiefe und zerschellte am Krückstock Melchiors, der wie eine Drohgebärde am Stamm lehnte. Zwischen den Dreien entwickelte sich ein bedeutungsschwangeres Gespräch, das für den Fortgang der Geschichte von nicht absehbarer Tragweite sein sollte ….

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„Was war einst Dein Beruf alter Mann?“ fragte Balthasar den gutmütigen Greis Melchior. „Als junger Bursche verdiente ich meine Taler mit Zauberei. Das lief aber nicht. Meine Künste reichten nur aus, um ungesalzenes Wasser zu färben und das konnte bei uns im Dorf jeder. Damals hatte ich auch vor, eine Jungfrau zu beeindrucken, doch ohne das nötige Vermögen wollte meine damalige Debre nichts von mir wissen. So wurde ich Maulbeerfeigenritzer in den Ostlanden, bis man mich eines Tages an den Hof von König Drosselbart rief, dem ich bis vor wenigen Tagen als Berater diente.“ Balthasar war erstaunt. Sein Blick verriet planvolles Denken. „Wie Du weißt, bin ich nur ein Plantagenarbeiter, die drei Jungs sind Lustmolche und fühlen sich immerzu von der Arbeit befreit, Kaspar hier, war bis gestern ein jämmerlicher Kleinwarenhändler. So wie wir sind, kommen wir morgen niemals im Schilfboot über den großen Fluss, von dem Du die ganze Zeit sprichst. Wir müssen uns als besondere Gesandte oder so etwas ausgeben, sonst nimmt uns der Fährmann nicht mit. Mit meiner Sachkenntnis, Deinen Erfahrungen an den Königshöfen dieser Welt, Kaspars verweichter weiblicher Art und dem Hang zur generellen Übertreibung bei Mika, Sisisba und Awnison könnten wir es schaffen Eindruck zu hinterlassen und man wird uns auf der riesigen Wüstenhalbinsel zutritt gewähren.“ Der Eselkopf nickte nachdenklich. „Du hast Recht, doch denkst Du zu schnell und erfolgsorientiert. Wie sollen wir in unserer ärmlichen Kleidung wichtige Gesandte sein? Hier ist weit und breit kein Stoffhändler. Balthasar, wir sind in der Wüste!“ Der letzte Ausruf war lauter als gewohnt und klang dramatisch. Balthasar wusste nicht weiter. Kaspar hatte sowieso noch nichts gesagt und spielte an seiner Brust rum. In die verzwickte Szene hinein hörten sie Lärm von Tröten und Schellen. Aufspringend sahen sie am Horizont drei überladene Gestalten, mit Kamel und Ziege auf sie zu steuern. Auf dem Kamel war ein großer Korb mit scheinbar Tausend Wunderlichkeiten, die noch davon gekrönt wurden, dass aus ihrer Mitte ein liebreizender schwarzlockiger Frauenkopf lächelte. Als erstes erkannten sie Sisisba, der verdächtig nahe bei der Ziege lief und freudig winkte. Was war das für ein überraschendes Wiedersehen. Wo kamen die Jungs nur her und wie hatten sie all die Schätze besorgt?

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Sisisba lief Speichel aus dem Mund, als er den Zurückgebliebenen erzählte, was nach dem Drogenexzess am vorigen Abend passierte. Von Wahn und Durst wurden die Trinkteufel an die nächstgelegene Oase getrieben und stillten ihr Begehren dort wie Hunde, mit der Zunge schleckend, denn so hatten sie es in der Schrift gelesen. In diesem Zuge begegneten ihnen auch die fröhlichen Midianiter, die ihnen eine kleine schwarze Sklavin für `n Appel und `n Ei überließen. Da sie Kaspars Bauchladen im Eifer umgeschnallt hatten, war dem Tauschhandel Tür und Tor geöffnet. Mika schinderte wie eine Hafennutte, als er alle ersteigerten Waren auf die dazugehörigen Lasttiere schnallte. Seine beiden Freunde waren dazu schlecht in der Lage, sie hockten mit den Fremden am Feuertopf und kochten Buchweizengrütze nach Großmutters Art.
Das kleine Sklavenmädchen lachte frech. Sie gehörte nun dazu, da war nichts zu machen. Insgeheim hatten die drei Zurückgebliebenen jeder für sich noch gehofft, sie hätten die Raufbolde abgehängt, aber so war es immer schon: wenn man nicht mehr an sie dachte, tauchten sie plötzlich wieder auf und brachten alles in Unordnung. Jetzt aber war ihr Erscheinen auch unseren Protagonisten Balthasar, Melchior und Kaspar von Nutzen. Auf den Kamelrücken befanden sich prächtige Gewänder und lustige Hüte. Balthasar, der Mohr (alle anderen waren Zugereiste) schnappte sich die grüne Joppe und einen schwarzen Hut mit einer peinlichen Federboa, die Kaspar ihm aufgrund seiner femininen Veranlagung im Laufe der Reise mehrere Male abspenstig zu machen versuchen wird. Jetzt sah er jedenfalls aus, wie ein echter Adliger aus der Fremde. Mal schauen, ob sie das auch dem Fährmann weiß machen könnten...?

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Der zweite Tag der großen Reise neigte sich schon wieder dem Ende. Neu eingekleidet marschierte der ansehnliche Trupp gleichsam einem Heldenepos entgegen. In der Mitte trottete das Kamel, Ndogo (Balthasar hatte die Sudanesin in einer ruhigen Minute nach dem Namen gefragt) saß in ihrem Korb und blickte zu den ersten Sternen auf. Vorne weg lief Balthasar. Seine Miene war fürstlich finster. Ohne Zweifel er war der Anführer der Bande geworden. Neben ihm hinkte seine rechte Hand, Melchior, der es zwar nicht mehr lange zu machen schien, aber immer noch einen Rat auf Lager hielt. Hinter den beiden kamen Sisisba und Kaspar, umrandet von zwei Ziegen. Regelmäßig drehte sich Balthasar um und mahnte, dass er Sisisba aus der Gruppe ausstoßen werde, sollte er noch einmal die Ziegen leer trinken. Hinter dem Kamel bildeten Awnison und Mika die Nachhut. In ihren Händen hielten sie Knüppel, die möglichen Räubern Angst einjagen sollten. Der starke Weihrauchgeruch der die beiden umgab aber, verharmloste die Situation maßlos. So liefen sie die ganze Nacht hindurch mit müden Gesichtern quer durch die Wüste. Nur die kleine Ndogo hatte zwischen Krimskrams im Korb etwas Schlaf finden können. Mit den ersten Sonnenstrahlen erblickten sie das festlich glänzende Blau des Flusses. Der Fährmann Urschanabi stand bereits am Ufer und winkte in Richtung der Reisenden. Balthasar schritt ihm ehrfürchtig entgegen. „Moz ugluk ni bema aiuro!“ rief er dem Fährmann schon aus Entfernung zu. Dieser machte ein Gesicht als verstünde er kein Wort. „Ni bema aiuro? Ni bema aiuro?” wiederholte Balthasar mit freundlichem Augenzwinkern. Der Fährmann zuckte mit den Schultern und flüsterte höflich „nix versdehe tein Sprechäh“. Balthasar deutete auf das Schilfboot und ruderte mit den Armen in der Luft. Der Fährmann, daraufhin, nahm ein Stöckchen und malte eine Art Landkarte in den Sand. Balthasar verstand und rief Melchior herbei und der machte ein Kreuz an die Stelle, bis zu der sie gebracht zu werden wünschten. Geschätzte 280 Meilen erklärte Melchior, sich umdrehend, allen umstehenden. Balthasar und Fährmann Urschanabi reichten sich die Hände, Mika übergab ein Säckchen Weihrauch und der Handel war perfekt. Das Schilfboot wurde beladen und noch ehe es ablegte, schliefen alle sechs tief und fest an das Schilf gelehnt. Nur Ndogo beobachtete aus dem Korb interessiert die Arbeit des Fährmanns und ließ sich den aufkommenden Fahrtwind erleichtert ins Gesicht wehen. Der Wind gab ihr seit langer Zeit ein Gefühl von Freiheit. Jetzt erst warf sie einen durchdringenden Blick auf den schlafenden Balthasar, während das Schiff Flussmeile um Flussmeile zurück legte.

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Die kleine Arche trieb das Flüsschen entlang. Urschanabi hatte mit der Strömung zu kämpfen, er fand kaum Zeit, sich die drei kleinen Könige mit ihrem Gesinde zu betrachten. Andererseits hätte er so vielleicht den Braten gerochen. Awnison stank stark nach Knoblauch und versuchte trotzdem immer wieder die kleine Sklavin mit den Korkenzieherlocken für sich zu gewinnen. Diese entgegnete seine Blicke angewidert. Vorsichtig kam sie mit Melchior ins Gespräch. Sie war die Tochter eines Hauslehrers und redete darum auch in der runzligen, äthiopischen Sprache des Alten. Ndogo versuchte herauszufinden, wohin die Reise ginge. Scheinbar war das niemandem klar, was die Zarte geringfügig beunruhigte. Melchior redete wirr, von „ein Stern am Himmel“ und „immer der Nase nach“. Auf ihn war kein Verlass mehr, es war das Alter, das ihm zu schaffen machte. Manchmal fiel er in Wahn und zitierte aus der Schrift wild drauflos. Mika und Sisisba hatten ihr erklärt, Melchior betrieb als er noch jung und klug war, ein umfangreiches Archiv in einer Höhlengegend um Qumran im Heiligen Land, das seit geraumer Zeit aber völlig heruntergekommen sei. Ndogo wusste damit wenig anzufangen, sie hielt nicht viel von diesem monotheistischen Blabla. Als endlich auch Balthasar erwachte, befragte sie ihn selbst. Er schien hier einzig einen kühlen Kopf zu bewahren, hatte er nicht letztlich auch etwas mit dem Fährmann ausgemacht? Sie nahm seine Hand in die ihre und blickte ihm konsequent auf die tiefsitzende Nasenwurzel. Balthasar konnte diesem Blick schwer widerstehen. Er dachte an Debre und wie einst Melchiors keimiger Papyrusschrieb zwischen ihren hüpfenden Brüsten landete. Er beschloss, Ndogo in die Pläne einzuweihen – in dem Moment genau, als in der Ferne mächtige Bauwerke auszumachen waren.

Kommentare

Udo Fröhliche hat gesagt…
Boah, das ist ja zur Abwechslung mal eine richtige Geschichte! Herzlichen Glückwunsch, KREM – und frohe Weihnachten!
Kakke Haissen hat gesagt…
Udo Fröhlich? Really? ROFL
KREMfreund_01 hat gesagt…
Wat ihr für Namen habt LMFAO
Christoph Teusche hat gesagt…
Können wir nicht wenigstens zu Weihnachten den Stammtischhumor beiseite lassen! Ich fordere mehr Weihnachtsstimmung!

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