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In einem Leuchtturm, Teil II

Jetzt saß er hier und fühlte sich sehr unwohl. Erst mal was trinken, hatte er sich gedacht, das entspannt die Lage. „Also, Bernd, ich bin jetzt genau ein Jahr hier, und ich dachte, das ist ein guter Grund zum Feiern. Was meinst du?“
„Ach, heute erst? Ich hätte schwören können, es ist schon länger her. Na, wenn das kein Anlaß zum Saufen ist, dann weiß ich auch nicht.“ Er nahm das von Michael in der Zwischenzeit gefüllte Glas und stieß mit diesem an. „Prost!“ Sie setzten das Glas an und exten es. Bernd goß nach. Die Flüssigkeit verschwand in ihren Rachen. Bernd setzte die Flasche erneut an. „Also, wenn du mich fragst, haben wir hier das große Los gezogen. Kein Streß, immer schön frische Luft, und wenn wir was brauchen, wird es uns geliefert. Wir sind frei!“ „Ja, da hast du recht. Manchmal könnte man aber schon auch mal ein bißchen Abwechslung vertragen, findest du nicht?“ Bernd sah ihn irritiert an. Ein Hauch von Unverständnis war seinen Nasenflügeln anzusehen.
„Nee. Is doch prima hier. Wenn wir baden wollen, dann haben wir die See direkt vor der Nase. Fischen kann man hier auch. Neulich habe ich sogar eine Robbe gesehen. Die kam hier vorne auf den Felsen. Habe ich ganz vergessen, dir zu erzählen. Was will man mehr? Hast du ja noch gar nicht erzählt, daß du dich hier langweilst.“ „Nein, nein, langweilen tu ich mich nicht, nur …“ Er rang nach Worten. „ … nur manchmal sehne ich mich nach Nähe“. Das war eindeutig. Jetzt kam es auf Bernds Reaktion an. Gespannt sah Michael zu ihm herüber. Der fing an zu grinsen. „Ich weiß genau, was du meinst. Ist ja schon manchmal ein bißchen einsam hier draußen, nicht wahr?“ Michael nickte energisch. Das lief ja sehr gut. „Ja, genau. Ich wußte nicht genau, wie du darüber denkst. Ich habe schon lange Zeit darüber nachgedacht …“ „Ja, Michael, wenn du mal was früher gesagt hättest. Du kennst doch den Meyer?“ Michael war verdutzt. „Ja, wieso?“ „Und der Meyer, der hat nämlich ne hübsche Tochter, Marlene heißt die, die ist ganz patent, die hat auch schon ein paar Mal nach dir gefragt. Ich wollte dir immer schon mal was sagen, aber ich war mir nicht so sicher, ob das eine Partie für dich wäre. Ich dachte nämlich“, er unterbrach sich und stürzte einen weiteren Rum herunter, „ehrlich gesagt dachte ich bisher immer, du wärst schwul.“ Michael sah ihn entsetzt an. „Versteh das nicht falsch, ich dachte nur, weil du nie von Frauen erzählt hast, ich hab ja auch nichts gegen Schwule, ich wollte das nur mal sagen. Ich meine, auch die Matrosenuniform, also nichts gegen Matrosenuniformen, aber …“ Michael war war am Ende. Er fühlte er sich, als sei er gerade von einem Zug überfahren worden. Wie sollte, wie konnte er jetzt noch das Gespräch in die richtige Richtung lenken? Bernd war ja offensichtlich nicht interessiert. Er aber war an Marlene überhaupt nicht interessiert. Das war zu viel für ihn. Er spürte, wie er zu zittern begann. Er wollte heulen. Er wollte sich in ein Bett legen. Er wollte weg sein. Aber er mußte jetzt auf eine Frage antworten, die Bernd ihm gestellt hatte. Er wußte nicht, welche, aber er konnte in seinen Augen lesen, daß der eine Antwort erwartete. „Michael, hörst du mir überhaupt zu? Willst du die Marlene nicht mal einladen, die würde sich sicher freuen! Dann wäre es hier ja auch nicht mehr so einsam, und etwas „Nähe“ könntet ihr ja vielleicht auch haben, wenn du verstehst, was ich meine. Ich würde mich dann zurückziehen. Was meinst du? Michael?“
„Ja …“ Michael stand unschlüssig im Raum. „Ich rufe sie mal an.“ Es bereitete ihm große Mühe aufzustehen, woran auch der Rum schuld war. Das Telefon hing an der Wand, es war ein ziemlich altes Modell. Es gab eine kurze Leitung zur Hütte, ansonsten mußte man eine Null vorwählen. Das Freizeichen ertönte. „Odebrecht?“ „Hallo, hier ist Michael Kasupke, Leuchtturm Sturminsel. Ich …“ „Hallo, Michael. Na so eine Überraschung. Alles klar Schiff bei euch?“ Bernd sah erwartungsvoll zu ihm herüber. „Und, was sagt sie?“ Michael nahm all seinen Mut zusammen. „Hör mal, Marlene, ich habe mich in Bernd verliebt. Das mit uns wird nie funktionieren. Es tut mir leid.“ Er legte auf. Jetzt war es raus. Er war erleichtert. Bernd wiederum sah ihn fassungslos an. „Was … Warum …“ Michael hatte jetzt die Oberhand gewonnen, aber die Schlacht schon verloren. Im Moment spürte er sowieso ein große Verachtung gegenüber seinem Kollegen, der ihn so brüsk zurückgewiesen hatte, so unsensibel, im Moment wollte er es ihm nur heimzahlen. Er ging zur Tür, machte auf dem Absatz kehrt und sagte: „Vielleicht sollten wir uns eine Weile nicht sehen.“ Vergnügt ging er die Treppe herunter, verließ den Leuchtturm und wollte gerade die Tür der Hütte aufschließen, als eine 10 Meter hohe Welle die Insel traf und ihn ins Meer riß.

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