Lassen Sie mich beginnen mit folgendem
Sprichwort, das mich mein guter Freund und langjähriger
Wegbegleiter, der ehemalige Dirigent der Budapester Philharmoniker,
Gröcs Balazs Celnýö, gelehrt hat: „Wenn der Wolf am Fluss steht,
weiß das Schaf, dass die weiße Taube von seinem Durst kündet.“
Mein Name ist Wilhelm Brannt. Mit
meinen 87 Jahren kann ich auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Ich
kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich der letzte
Universalgelehrte Europas bin – ganz in der Tradition Humboldts,
Gauß' und Bohrs. Meine Eltern waren äußerst streng und schickten
mich mit dreieinhalb aufs Moritzeum, wo ich mit sieben Jahren als
Diplom-Schalmeiant (sic!) resignierte. Es folgten Harfe, Orgel und
Sousaphon. Ich ging bei Niels Blödmann, dem bekannten friesischen
Volkssteinmetz, in die Lehre. Mit Wyli Wundbran malte ich Fresken in großen Kirchen und anderen Häusern. Fitz Sonderburg führte mich
in die Welt der Lyrik ein. Martin Eresburger holte mich zu den
Epikern und Dramatikern. Mein Stücke Der große heldenhafte
Stalin! Der Held des Kommunismus/Stalinismus! und Das Haus in
Jannowitz wurden vom Publikum dankbar aufgenommen und vom
Feuilleton in eine Reihe gestellt.
Wie alle wichtigen bürgerlichen
Intellektuellen des 20. Jahrhunderts – das der Philosoph Kiter
Verbel zurecht als „das letzte Jahrhundert des 2. Jahrtausends“
bezeichnete – war ich als Jugendlicher in der Waffen-SS. Ich möchte
das beschönigen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gab ich
wichtige Impulse für die Nachkriegsliteratur, -komposition, -malerei
und den Sport.
Seit 1974 bin ich arbeitslos, daher bin
ich mit Freuden auf das Angebot des KREMs zurückgekommen, hier meine
wöchentlich/unregelmäßig erscheinende Essay-Reihe Ritt ins
Blau zu veröffentlichen. Für Reflexionen und Rückmeldungen habe
ich wenig übrig. Ich schreibe, nicht Sie.
Um im Bild meines ungarischen Freundes
zu bleiben: Ich bin die Taube, Sie das Schaf. Aber wer ist der Fluss?
Ich schließe mit einem Gedicht, das
mir 1948 im Bombenhagel Lebenshoffnung gab:
„Bomben - „Aua!“ - Wehtun“
Was dröhnt denn dort, wo kommt es
her,
Was bombt so laut, was knallt?
Weshalb ist denn die Straße leer
Und warum brennt der Wald?
Feuer da und Feuer hier,
Kinder schrei'n „Oh Scheiß!“
es schwitzt im Stall das große
Tier,
das Feuer ist so heiß.
Es ist Krieg, es ist Krieg, es ist
Krieg!
Wo stirbt ein jeder Mann.
(leere Zeile als Zeichen der
Ausbombung)
Und du kommst auch bald dran!
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